Kurzinfo zum Sachstand der Risikobewertung der Landebahn Nordwest

von Joachim Storck - IGEL Kelsterbach - www.igel-bi.de


Gegenstand

Allgemein ist im Rahmen der der Genehmigung eines Flughafenneu- oder -ausbaus vorausgehenden Verwaltungsverfahren selbstverständlich die Betriebssicherheit zu untersuchen.

Neben der sicheren und geordneten Abwicklung des Verkehrs und der daraus resultierenden Nebentätigkeiten auf der Anlage selbst sind insbesondere die sich aus dem Betrieb ergebenden Wechselwirkungen mit dem Umland und den dort vorgefundenen Gegebenheiten hervorzuheben.

Bei den Variantenuntersuchungen zum Ausbau des Frankfurter Flughafens und insbesondere bezüglich der geforderten Nordwestvariante wurden jedoch erhebliche sicherheitsrelevante Aspekte ignoriert. Dies sind zum Beispiel:

Aufgrund dieser vielfältigen Risiken ist es an sich unverständlich, dass die verantwortungslosen Planungen fortgesetzt werden. Dennoch ist dies der Fall.

In diesem Kurzbeitrag sollen im folgenden vorwiegend ein paar Informationen zur Seveso II – Richtlinie in Bezug auf das Werk Ticona gegeben werden.

 

Aufgabe der Seveso II – Richtlinie

Hohe technische Gefahrenpotentiale in verfahrenstechnischen Anlagen erfordern ein besonderes Vorsorgekonzept mit dem Zweck, Auswirkungen dieser Gefahrenpotentiale in sozialverträglicher Weise zu vermeiden. Die Verwirklichung dieses Anspruches sollte in der Europäischen Union durch die "Seveso-Richtlinien" erfolgen, wobei als Auslöser bekanntlich mehrere Großunfälle Anfang/Mitte der Siebzigerjahre (Flixborough 1974, Seveso 1976) genannt werden.

Wenn auch aus dem Wortlaut der Richtlinien nicht sofort ersichtlich, so steht doch das Konzept eines dreistufigen Sicherheitssystems hinter diesen Bestimmungen:

·        Stufe 1: sicherer Einschluss gefährlicher Stoffe und Vermeidung unzulässiger Betriebszustände

·        Stufe 2: anlagenbezogene Maßnahmen zur Begrenzung von Unfallauswirkungen

·        Stufe 3: umgebungsbezogene Maßnahmen zur Begrenzung von Unfallauswirkungen  

Es ist klar, dass sich unser Thema auf die Stufe 3 bezieht, denn es geht hier um die durch den Flughafenbetrieb verursachte Gefährdung primär des Werkes und damit sekundär der in der Umgebung lebenden Bevölkerung. 

Zur Beratung und Unterstützung der Entscheidungsgremien wurde in der Bundesrepublik Deutschland die Störfallkommission geschaffen, die beim Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit angesiedelt ist.

Diese Kommission wurde von der Ticona AG angerufen, nachdem seitens Fraport und Genehmigungsbehörde keinerlei Bereitschaft zu einer ernsthaften Beschäftigung mit der Sicherheitsproblematik erkennbar wurde.

 

Störfallkommission

Nach §51a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes wird beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Beratung der Bundesregierung eine Störfall-Kommission gebildet. In dieser Kommission sind der Vorsitzende des Technischen Ausschusses für Anlagensicherheit sowie im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Vertreter der Wissenschaft, der Umweltverbände, der Gewerkschaften, der beteiligten Wirtschaft und der für den Immissions- und Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörden berufen.

Die Störfallkommission soll gutachtlich in regelmäßigen Zeitabständen sowie aus besonderem Anlass Möglichkeiten zur Verbesserung der Anlagensicherheit aufzeigen.

Vorsitzender der Störfallkommission ist derzeit Prof. Jochum, ein ausgewiesener Experte für chemische Anlagen. Wie aus dem vorstehenden Organigramm zu erkennen ist, wurde eigens zum Thema Flughafen Frankfurt eine Arbeitsgruppe bei der Störfallkommission eingerichtet, bei der Prof. Jochum persönlich den Vorsitz führt. Ein Zeichen für die Komplexität der Problemstellung.

Pflichten der Behörde

 

Aus der Seveso II – Richtlinie ergeben sich für die Staaten und deren ausführende Behörden eine Reihe von Pflichten, die der Sicherheit   potentiell gefährlicher Anlagen und der Umwelt dienen.

Ein für unsere Frage entscheidender Gesichtspunkt ist dabei, dass die Mitgliedsstaaten in ihrer Politik der Flächenausweisung oder Flächennutzung das Ziel der Verhütung schwerer Unfälle verfolgen müssen. Dazu haben sie die Ansiedlung neuer Betriebe, Änderungen bestehender Betriebe und neue Entwicklungen in der Nachbarschaft bestehender Betriebe wie beispielsweise Verkehrswege, Wohngebiete usw. zu überwachen.

Eine Genehmigung ist bei unvertretbaren Risiken zu versagen. Nach Expertenauffassung ist allerdings dann eine Wahrscheinlichkeitsbetrachtung, wie sie aus den diversen kursierenden Gutachten in die Öffentlichkeit gelangt ist, ohne Bedeutung, wenn durch die Wahl eines anderen Standortes die drohende Gefahr komplett abgewandt werden kann.  Dies trifft im Falle der Landebahn Nordwest ganz offensichtlich zu, die Standortauswahl ist somit fehlerhaft getroffen worden.

Bei einer sachgerechten Verfahrensführung verbleibt der Behörde hier kein Ermessensspielraum, ungeachtet dessen, was bei den in Kürze anstehenden Beratungen im Haus des Wirtschaftsministers zu diesem Thema herauskommen wird.

 

Die Einschaltung der EU-Behörden

 

Aufgrund der mangelhaften Berücksichtigung der Sicherheitsaspekte durch die verfahrensführenden Behörden wurde – wie sicher allgemein aus der Presse bekannt – die EU-Kommission eingeschaltet. Dies erfolgte zunächst durch die FAG-Fraktion im Frankfurter Römer und wurde dann durch weitere Beschwerden von Gruppen und Privatpersonen aus dem Flughafenumland ergänzt.

Namentlich zu danken ist der Abgeordneten des EU-Parlaments, Hiltrud Breyer, die alle Aktivitäten engagiert unterstützt und Kontakte knüpft.

Die Bedeutung, die bei der EU-Kommission dieser Frage beigemessen wird, kann daraus ersehen werden, dass der Vorsitzende der FAG-Fraktion, Horst Schäfer, und Vertreter der BI Sachsenhausen am  9. Dezember in Brüssel mit der Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission die Thematik direkt besprechen konnten.

In einem zweiseitigen Schreiben an die Bundesregierung geht die EU-Kommission von der Berechtigung der vorgetragenen Argumente aus, es heißt: "Nach einer ersten Analyse des Sachverhalts gehen die Dienststellen der Kommission davon aus, dass Artikel 12 der Seveso-II-Richtlinie verletzt wurde." Unter Seveso II fallen laut Europäischer Kommission die Firma Ticona und der Industriepark Infraserv in Frankfurt-Höchst.

Noch in diesem Jahr soll auf Vorschlag der EU-Kommission die Regel, "angemessene Abstände" zwischen Chemiefabriken und Wohn- sowie Naturschutzgebieten zu gewährleisten, zusätzlich auf Verkehrswege bzw. größere Transportrouten ausgedehnt werden. Nach Einschätzung der EU-Kommission ist zudem der Flughafen "selbst ein Störfallbetrieb im Sinne der Seveso-II-Richtlinie". Brüssel will nun von Berlin wissen, ob es in Erwägung zieht, das Raumordnungsverfahren wieder aufzunehmen.

Dass sich die Beschwerdeführer überhaupt direkt an die EU-Kommission wenden mussten, liegt daran, dass die Bundesregierung seit Jahren die Umsetzung der Seveso II – Richtlinie in deutsches Recht verzögert.

Auch jetzt macht es noch Sinn, dass  sich viele weitere Menschen mit einer Beschwerde an die EU-Kommission wenden. Von der Internet-Seite unseres Klagevereins, des Instituts zur Abwehr von Gesundheitsgefahren durch Lärm, kann ein Musterformular geladen werden, das als Vorlage verwendet oder auch einfach nur durch die  eigene Adresse ergänzt werden kann.

Die Internetadresse lautet Formular "Beschwerde gegen Ticona Risiken wegen Verstoß gegen Seveso-Richtlinie

Die Stellungnahme der EU-Kommission war nur vorläufig. Eine endgültige Stellungnahme bleibt abzuwarten. Bekanntlich hat das Land Hessen bisher die Bedenken zurückgewiesen.

 

Zum Abschluss ein kleiner Auszug aus der Webseite der Bürgerinitiative Sachsenhausen:

Sage keiner, ein Absturz in Flughafennähe sei ein unvorhersehbares Ereignis

New York, Mailand, Paris, Amsterdam und aktuell Zürich sind spektakuläre Beispiele dafür, dass Flughäfen extrem gefährliche Betriebe sind, die in bewohnten Gebieten, soweit sie nicht den direkten Bedürfnissen der Region dienen, nichts zu suchen haben. Eine Lufthansa Studie legt dar, dass statistisch jeder 957000. Flug mit einem Totalverlust in Flughafennähe endet. Während allgemeine Betroffenheit und Mitgefühl die jüngsten Ereignisse in New York begleiten, setzt der Flughafenbetreiber Fraport ungerührt seinen perfiden Plan fort über bewohntem Gebiet eine Flugschneise zu legen. Wohlwissend dass in den Hochhaussiedlungen wie die in der Wiener Straße, Sonnenhügel, Sonnenring, um nur die in unserer Nachbarschaft zu nennen, bei einer absehbaren Kathastrophe mit tausenden von Opfern zu rechnen ist. Besonders verwerflich an dem Vorhaben ist, das es durchgesezt werden soll weil es zu diesem Ausbau Alternativen gibt, die aus wirtschaftlichen Gründen verhindert werden sollen.(siehe Zitat Bundesverkehrsminister Bodewig, )

Piloten und Flugbegleiter setzen sich der Gefahr freiwillig aus. Passagiere meist nur ein- bis zweimal pro Jahr. Bewohner der betroffenen Gebiete sollen zwangsweise dieser Gefahr ausgesetzt werden und zwar tagein, tagaus, Jahr für Jahr.

Die, die es nicht für möglich halten, sollten einmal folgendes nachrechnen: Der Lufthansa "Jet Safety Report " sagt aus, dass auf 1 Mio. Flüge 1,29 Totalverluste kommen.

81 % der Totalverluste ereignen sich während der Start- und Landephase.

D.H., dass pro 1 Mio. Flüge mit 1,0449 Totalverluste in Flughafennähe zu rechnen ist.

Statistisch endet danach jeder 957 029. Flug mit einer Katastrophe in Flughafennähe.

Der Flughafenbetreiber strebt nach dem Ausbau 660 000 Flugbewegungen pro Jahr an.

Eine Flugbewegung kann ein Start oder eine Landung sein.

660 000 Flugbewegungen entsprechen 330 000 Flügen.

Demnach wäre nach dem Ausbau nach knapp 3 Jahren mit einem Totalverlust in unserer Region zu rechnen.