Nichts könnte es besser zeigen als das überlegene, siegessichere Lächeln von Fraport-Chef Bender bei der Pressekonferenz zur Einigung über die Zukunft des Chemiewerks Ticona: heute ist ein schwarzer Tag für die Gegner des Flughafenausbaus. Auch wenn sie jetzt mit Recht sagen können: wir haben es ja schon immer gewusst, dass Chemiewerk und Landebahn nicht vereinbar sind. Recht behalten haben sie. Aber das ist ein schwacher Trost. Mit dem Chemiewerk in der Einflugschneise haben Landesregierung und Fraport ein großes Hindernis - eigentlich das größte Hindernis - für die Ausbaupläne aus dem Weg geräumt.
Die Enttäuschung ist verständlich. Doch sie kommt nicht unerwartet. Auch wenn viele Ausbaugegner das Chemiewerk als ihren Verbündeten, fast schon als ihren Freund, betrachtet haben, entsprach diese Einschätzung nicht der Realität. Die Ticona war nie gegen den Ausbau an sich, sondern nur gegen die Nordwestvariante, weil die ihre Existenz gefährdet. Und die Ticona hängt auch nicht am Standort Kelsterbach, wie der Bürger an seinem Heimatort und seinem Häuschen. Da ist eigentlich klar: wenn man nur genug Geld bietet, wird Ticona einfach umziehen. Die Chance, zu einem neuen - und viel moderneren - Werk zu kommen, ohne die hohen Investitionen allein schultern zu müssen, ist durchaus verlockend. Da verhält sich die Ticona wie ein ganz normales Unternehmen. Noch dazu eines, dass letztlich einem Investor gehört, der hierzulande schon in die Kategorie "Heuschrecke" eingeordnet wurde. Der Profit zählt. Für Sentimentalitäten ist da kein Platz.
Verwunderlich ist nur die relativ geringe Summe, für die der Deal über die Bühne ging. Die Kosten waren von allen Seiten eher auf mindestens eine Milliarde geschätzt worden. Was hat Ministerpräsident Koch noch versprochen, von dem wir noch nichts wissen? Oder hat die Angst vor einem möglichen Enteignungsverfahren bei Ticona den Preis gedrückt? Wollte Ticona sowieso modernisieren und ist deshalb auch mit einem größeren Teilbetrag der tatsächlichen Umzugskosten zufrieden? Es wird wohl ein Geheimnis zwischen den Beteiligten bleiben. Fakt bleibt: 650 Millionen sind eine Menge Geld. Alles für eine nutzlose Umsiedlungsaktion, die man bei sorgfältiger Planung hätte verhindern können. Fraport zahlt alles und damit auch der Steuerzahler. Auch wenn Fraport eine Aktiengesellschaft ist - der größere Teil ist immer noch im Besitz von Bund, Land Hessen und der Stadt Frankfurt. Was könnte man allein mit diesem Betrag Nützliches machen? Von den restlichen Ausbaukosten ganz zu schweigen.
Leidtragende sind auch die Mitarbeiter der Ticona. Ob Ticona das neue Werk im Rhein-Main-Gebiet errichtet, ist ungewiss. Dass eine Beschäftigungsgesellschaft vereinbar wurde, zeigt, wohin der Hase läuft: bei einer 1:1 Umsiedlung in den Industriepark Höchst wäre die ja nicht nötig. Die hochqualifizierten und gut bezahlten Ticona-Mitarbeiter, die oft schon lange Jahre in dem Betrieb arbeiten, werden sich sicherlich freuen, bei Fraport für einen Hungerlohn Koffer zu schleppen oder im Sicherheitsdienst arbeiten zu dürfen. So startet die "Jobmaschine Flughafenausbau" mit einer großen Arbeitsplatzvernichtung. Auch die Mitarbeiter der Fraport werden indirekt für den Deal mit Ticona zur Kasse gebeten werden: die Kosten muss Fraport irgendwo wieder hereinholen.
Doch so sehr man sich über Fraport oder Ticona ärgern mag: die Hauptschuldigen sitzen in der Politik. Dass der Fraport-Vorstand sich mit allen Kräften für die Interessen seines Unternehmens einsetzt, ist nicht weiter verwunderlich und durchaus legitim. Doch die Landesregierung sollte die Interessen der Bürgerinnen und Bürger vertreten. Und hier liegt das Problem. Ministerpräsident Koch hat sich so sehr in die Idee verbissen, dass ohne Ausbau in der Region die Lichter ausgehen, dass er dem Ziel des Ausbaus alles andere unterordnet. Selbst die größten Pannen, Pleiten und Hindernisse können ihn nicht von seinem Lieblingsprojekt abbringen. Alles was im Wege steht, wird plattgemacht, weggeräumt oder weggekauft - koste es was es wolle.
Da wurden Landesentwicklungsplan und Regionalplan auf den Flughafenausbau hin optimiert, da wurden Gesetze und Vorschriften geändert, damit man Vorhaben wie den Flughafenausbau besser gegen die betroffenen Bürger durchsetzen kann, da wurde der Naturschutz eingeschränkt. Das neue Fluglärmgesetz mit seiner Sonderregelung für den Ausbau in Frankfurt und das maßgeblich vom Land Hessen getriebene Infrastruktur-Beschleunigungsgesetz sind die jüngsten Beispiele dafür, dass diese Regierung sich nur von der Wirtschaftslobby leiten lässt und nicht von den Interessen der Bürger. Aber solange sogar viele der direkt Betroffenen solche Politiker wählen, wird sich daran wohl nichts ändern. Und deshalb werden sie sich wahrscheinlich mit der neuen Landebahn arrangieren müssen.