Fliegeralarm in Zürich?
Ab morgen Südanflüge auf Flughafen Zürich - Protestaktionen geplant
<2003-10-29>
Die Stunde X rückt näher: am Donnerstag, den 30.10.2003, um 6 Uhr morgens, sollen die ersten Flugzeuge den Flughafen Zürich auf der neuen Südanflugroute anfliegen. Mit Spannung erwartet man die angekündigten Protestaktionen der Bevölkerung.
Nachdem der Staatsvertrag mit Deutschland gescheitert war, hatte Deutschland in einer einseitigen Verordnung Zeiten festgelegt, in denen keine Anflüge auf den Flughafen Zürich über deutschem Gebiet stattfinden dürfen: Wochentags von 21-7 Uhr, an Wochenenden und Feiertagen von 20-9 Uhr. In dieser Zeit sind dann keine Landungen mehr aus der bisher verwendeten Nordrichtung möglich. Am 30. Oktober sollen die bisherigen Ausnahmeregelungen, die für große Flugzeuge und bei schlechtem Wetter Nordanflüge noch zuließen, entfallen: dann müssen die Anflüge in den kritischen Zeiten von Süden aus erfolgen. Die Betriebsrichtung des Flughafens wird also „umgedreht“. Damit wird ein sehr dicht besiedeltes Gebiet, die Stadt Zürich und die südlich davon gelegenen Gemeinden neu mit massivem Fluglärm überzogen. Zum neuverlärmten Gebiet zählt auch die Zürcher Goldküste, wo viele Millionäre wohnen. Aber auch eine große Zahl ganz normaler Bürger sind betroffen.
Die Stimmung in der Bevölkerung ist explosiv. In 300 Metern Höhe sollen plötzlich Ortschaften überflogen werden, die bisher als Oase der Ruhe galten. Der Immobilienmarkt in den neuen Einflugschneisen ist drastisch eingebrochen. Traumvillen finden selbst zum halben Preis keine Käufer mehr. Was für die Millionäre argerlich, aber meist finanziell verkraftbar ist, wird für Normalbürger, die hier ein Haus gekauft haben, zur Bedrohung ihrer Existenz. Und selbst dort, wo die Lärmbelastung nicht so hoch ausfällt, ist für viele Menschen allein die Tatsache erschreckend, dass die Raumplanung der vergangenen Jahrzehnte, nach der sie sich vor Fluglärm sicher fühlten, plötzlich über den Haufen geworfen wird.
Entsprechend groß ist der Protest. Binnen weniger Monate wurden sehr professionell agierendende Widerstandgruppen organisiert, unterstützt auch von einflussreichen Leuten. Und wer meint, die Schweizer seien erzkonservativ und würden nicht auf die Strasse gehen, der irrt: die Schweizer sind wehrhaft und lassen sich von oben nicht alles gefallen. Viele Menschen aus bürgerlichen Kreisen nahmen wegen des drohenden Fluglärms das erste Mal in ihrem Leben an Demonstrationen teil. Eine Fülle von Klagen und Einsprüchen wurde eingereicht, politische Entscheidungsträger scharf angegriffen, kreative Protestaktionen entwickelt.
So beantragte eine Gemeinde in der geplanten Einflugschneise, für 7 Millionen Franken einen Aussichtsturm von 250 Meter Höhe zu bauen – so hoch wie die Flugzeuge fliegen würden. Allerdings wurden nur 50 Meter genehmigt. Auch über Aktionen des zivilen Ungehorsams wird laut nachgedacht und diskutiert: vom harmlosen Mahnfeuer über die Störung des Flugbetriebs mit Feuerwerk und Luftballons bis zu einer möglichen Blockade der Zufahrtsstraßen oder gar der Landebahnen. Offizielle Stellen rufen zwar auf, den rechtsstaatlichen Weg nicht zu verlassen, aber ob diese Appelle gegen die Wut der Bevölkerung Erfolg haben werden, ist zweifelhaft.Man darf gespannt sein, was an Protestaktionen ab Donnerstag stattfinden wird. Sicher scheint, dass die betroffenen Städte versuchen werden, die Flugzeuge mit Fliegeralarm zu "begrüßen".
Zur Entspannung und Versachlichung der Diskussion haben Vertreter von Bund, Kanton Zürich und des Flughafenbetreiber Unique ein Mediationsverfahren in Gang gesetzt. Alle Betroffenen sollen an einen Tisch, auch Vertreter aus Süddeutschland. Ziel soll sein, eine Grundlage für eine neue Einigung mit Deutschland zu finden. Dazu gehört auch ein Konsens über die jetzigen oder alternative Flugrouten. Kritiker sagen jedoch: die Politiker wollen ablenken und sich aus der politischen Verantwortung stehlen. Die Erwartungen in ein gutes Ergebnis der Mediation sind nicht allzu hoch, zu unterschiedlich sind die Interessen. Und so will die Gruppe von vier professionellen Mediatoren, die das Verfahren vorbereiten soll, auch erst einmal ein halbes Jahr ausführlich mit allen Akteuren reden, um herauszufinden, ob eine Mediation überhaupt sinnvoll ist. Ein Scheitern ist durchaus einkalkuliert.
Bei dem Streit in Zürich geht es nicht nur um wirtschaftliche Interessen des Flughafens, sondern maßgeblich um die Frage „Verteilung des Fluglärms“, Bündelung oder Streuung. Eine Änderung des Status Quo wurde in Zürich von außen erzwungen: es geht nicht anders, wenn man den Flugbetrieb nicht drastisch einschränken will. Wer in der Rhein-Main-Region das Projekt „gerechte Verteilung des Fluglärms“ plant, sollte sich das Beispiel Zürich genau anschauen: Zürich könnte bald vor seiner Haustür sein.
Mehr:
-> Karte der Anflüge auf Flughafen Zürich
-> Dossier der Neuen Zürcher Zeitung 2003
Nachdem der Staatsvertrag mit Deutschland gescheitert war, hatte Deutschland in einer einseitigen Verordnung Zeiten festgelegt, in denen keine Anflüge auf den Flughafen Zürich über deutschem Gebiet stattfinden dürfen: Wochentags von 21-7 Uhr, an Wochenenden und Feiertagen von 20-9 Uhr. In dieser Zeit sind dann keine Landungen mehr aus der bisher verwendeten Nordrichtung möglich. Am 30. Oktober sollen die bisherigen Ausnahmeregelungen, die für große Flugzeuge und bei schlechtem Wetter Nordanflüge noch zuließen, entfallen: dann müssen die Anflüge in den kritischen Zeiten von Süden aus erfolgen. Die Betriebsrichtung des Flughafens wird also „umgedreht“. Damit wird ein sehr dicht besiedeltes Gebiet, die Stadt Zürich und die südlich davon gelegenen Gemeinden neu mit massivem Fluglärm überzogen. Zum neuverlärmten Gebiet zählt auch die Zürcher Goldküste, wo viele Millionäre wohnen. Aber auch eine große Zahl ganz normaler Bürger sind betroffen.
Die Stimmung in der Bevölkerung ist explosiv. In 300 Metern Höhe sollen plötzlich Ortschaften überflogen werden, die bisher als Oase der Ruhe galten. Der Immobilienmarkt in den neuen Einflugschneisen ist drastisch eingebrochen. Traumvillen finden selbst zum halben Preis keine Käufer mehr. Was für die Millionäre argerlich, aber meist finanziell verkraftbar ist, wird für Normalbürger, die hier ein Haus gekauft haben, zur Bedrohung ihrer Existenz. Und selbst dort, wo die Lärmbelastung nicht so hoch ausfällt, ist für viele Menschen allein die Tatsache erschreckend, dass die Raumplanung der vergangenen Jahrzehnte, nach der sie sich vor Fluglärm sicher fühlten, plötzlich über den Haufen geworfen wird.
Entsprechend groß ist der Protest. Binnen weniger Monate wurden sehr professionell agierendende Widerstandgruppen organisiert, unterstützt auch von einflussreichen Leuten. Und wer meint, die Schweizer seien erzkonservativ und würden nicht auf die Strasse gehen, der irrt: die Schweizer sind wehrhaft und lassen sich von oben nicht alles gefallen. Viele Menschen aus bürgerlichen Kreisen nahmen wegen des drohenden Fluglärms das erste Mal in ihrem Leben an Demonstrationen teil. Eine Fülle von Klagen und Einsprüchen wurde eingereicht, politische Entscheidungsträger scharf angegriffen, kreative Protestaktionen entwickelt.
So beantragte eine Gemeinde in der geplanten Einflugschneise, für 7 Millionen Franken einen Aussichtsturm von 250 Meter Höhe zu bauen – so hoch wie die Flugzeuge fliegen würden. Allerdings wurden nur 50 Meter genehmigt. Auch über Aktionen des zivilen Ungehorsams wird laut nachgedacht und diskutiert: vom harmlosen Mahnfeuer über die Störung des Flugbetriebs mit Feuerwerk und Luftballons bis zu einer möglichen Blockade der Zufahrtsstraßen oder gar der Landebahnen. Offizielle Stellen rufen zwar auf, den rechtsstaatlichen Weg nicht zu verlassen, aber ob diese Appelle gegen die Wut der Bevölkerung Erfolg haben werden, ist zweifelhaft.Man darf gespannt sein, was an Protestaktionen ab Donnerstag stattfinden wird. Sicher scheint, dass die betroffenen Städte versuchen werden, die Flugzeuge mit Fliegeralarm zu "begrüßen".
Zur Entspannung und Versachlichung der Diskussion haben Vertreter von Bund, Kanton Zürich und des Flughafenbetreiber Unique ein Mediationsverfahren in Gang gesetzt. Alle Betroffenen sollen an einen Tisch, auch Vertreter aus Süddeutschland. Ziel soll sein, eine Grundlage für eine neue Einigung mit Deutschland zu finden. Dazu gehört auch ein Konsens über die jetzigen oder alternative Flugrouten. Kritiker sagen jedoch: die Politiker wollen ablenken und sich aus der politischen Verantwortung stehlen. Die Erwartungen in ein gutes Ergebnis der Mediation sind nicht allzu hoch, zu unterschiedlich sind die Interessen. Und so will die Gruppe von vier professionellen Mediatoren, die das Verfahren vorbereiten soll, auch erst einmal ein halbes Jahr ausführlich mit allen Akteuren reden, um herauszufinden, ob eine Mediation überhaupt sinnvoll ist. Ein Scheitern ist durchaus einkalkuliert.
Bei dem Streit in Zürich geht es nicht nur um wirtschaftliche Interessen des Flughafens, sondern maßgeblich um die Frage „Verteilung des Fluglärms“, Bündelung oder Streuung. Eine Änderung des Status Quo wurde in Zürich von außen erzwungen: es geht nicht anders, wenn man den Flugbetrieb nicht drastisch einschränken will. Wer in der Rhein-Main-Region das Projekt „gerechte Verteilung des Fluglärms“ plant, sollte sich das Beispiel Zürich genau anschauen: Zürich könnte bald vor seiner Haustür sein.
Mehr:
-> Karte der Anflüge auf Flughafen Zürich
-> Dossier der Neuen Zürcher Zeitung 2003
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