Flugrouten-Klage: "Schwarzer Peter" für Ticona
Hat der VGH Kassel den Flughafenausbau damit gerettet?
<2006-10-24>
Der VGH Kassel hat gesprochen und - wie allgemein erwartet worden war - die Klage der Ticona abgelehnt, aber die Revision zugelassen. Schon nach der Gerichtsverhandlung hatten die gewöhnlich gut informierten Kreise diesen Ausgang vorhergesagt.
Spannend war nur, wie die Entscheidung begründet werden würde. Und sehr überzeugende Argumente haben die Kasseler Richter sich da nicht einfallen lassen. Für den Außenstehenden ist die Logik des Urteils jedenfalls nur schwer nachzuvollziehen.
So erscheint die Aussage, Flugrouten seien keine Verkehrswege und deswegen gelte die Seveso-Richtlinie nicht, doch etwas an der Haaren herbei gezogen. So ganz dürfen die Piloten ja nun doch nicht fliegen, wie es ihnen gefällt. Wenn man die Flugroute genügend weit weg legt, kann man das Überfliegen des Werks durchaus sicher genug verhindern. Bei der Beurteilung dieser Frage scheint sich der VGH allerdings selbst nicht sicher zu sein. Sonst hätte man nicht eine alternative Begründung hinzugefügt für den Fall, dass die Seveso-Richtlinie doch anwendbar sei.
Und auch diese Begründung ist durchaus gewagt. Die Flugroute an sich sei nicht gefährlicher als andere, das Problem katastrophaler Folgen bei einem Absturz auf einen Störfallbetrieb sei allein ein Problem des Betriebs, meinten die Richter für diesen Fall. Eine sehr eigenwillige Auslegung. Die Seveso-Richtlinie sagt, dass genügend Abstand zwischen Verkehrswegen und Störfallbetrieben zu halten ist, um Störfälle zu verhindern und Ihre Auswirkungen zu begrenzen. Wenn der Störfallbetrieb schon da ist, sollte eigentlich klar sein, dass das Abstandsgebot für den gilt, der einen Verkehrsweg in der Nähe einrichten will. Die Idee, dass die Menschen, die z.B. in einem Störfallbetrieb mit hoch explosiven Stoffen arbeiten, keinen Anspruch auf Schutz davor haben sollen, dass Außenstehende am Werkszaun mit Feuer spielen und das Werk deswegen in die Luft fliegt, ist nicht sehr menschenfreundlich - vorsichtig ausgedrückt.
Der Begründung des Gerichts, dass eine alternative Flugroute "unter Lärmschutzaspekten nachteilig" sei, überrascht eher - bisher hat der VGH die Belange lärmgeplagter Bürger doch eher locker gesehen. Schließlich lässt sich auch die schlimmste Lärmbelastung durch Schallschutzfenster abwehren, meinte das Gericht in den Urteilen zu den Klagen von Anwohnern gegen den aktuellen Betrieb am Flughafen. Weniger überrascht, dass die Argumente des Luftfahrtbundesamts, die Verlegung der umstrittenen Flugroute sei ohne Nachteile für Flughafen und Flugbetrieb nicht möglich, beim Gericht ungeprüft Gehör fanden. Da haben die "Luftfahrtexperten" wohl einen Bonus. Doch so nachteilig für den Flugbetrieb kann eine Verlegung der Flugroute wohl nicht sein. Schließlich ist eine alternative Flugroute, ähnlich der von Ticona vorgeschlagenen, Teil des neuen Flugroutensystems nach dem geplanten Ausbau!
Als einziger positiver Aspekt erscheint, dass das Luftfahrtbundesamt sich nicht zu Recht darauf berufen kann, was unter der Flugroute liege, sei völlig egal. Inwieweit das LBA aber Interessen der Ticona bei der Festlegung der Flugrouten abgewogen worden sein sollen, bleibt schleierhaft. Wahrscheinlich wusste man bei der Festlegung der Flugroute überhaupt nicht, dass ein Chemiewerk drunter liegt. Bis zum Raumordnungsverfahren hatte ja auch Fraport das Werk schlicht "übersehen".
Alles in allem ist die Entscheidung des VGH aber nicht überraschend. Niemand hat damit gerechnet, dass die Richter eine Entscheidung treffen würden, die den Ausbau des Flughafens kippen oder zumindest wesentlich schwieriger machen würde. Die Landesregierung hat ihre gesamte Argumentation in Sachen des Ticona-Risikos auf die These gebaut, das Risiko werde nach einem Ausbau nicht steigen. Ist das Risiko jetzt akzeptabel, ist der Ausbau gerettet, wäre es jetzt zu hoch, wäre keine Nordwestbahn möglich - oder Ticona müsste weichen.
Vielleicht haben die Richter die unklare Rechtslage geeignet interpretiert, weil sie wissen, was auf dem Spiel steht. Vielleicht gibt die Rechtslage aber auch nicht mehr her. Dann wäre es höchste Zeit, sie zu ändern und die Sonderbehandlung des Luftverkehrs gegenüber anderen Verkehrsträgern auch in Sachen Sicherheit endlich zu beenden.
Offenbar sieht auch der VGH bei der genaueren Klärung der aufgeworfenen Fragen Handlungsbedarf, sonst hätte man nicht explizit die Revision zugelassen (in den bisherigen Verfahren in Sachen Flughafen haben sich die Kläger die Revision erst beim Bundesverwaltungsgericht erstreiten müssen). Vielleicht landet die Sache ja auch beim Europäischen Gerichtshof. Zumindest die grundlegende Frage, ob und wie die Seveso-Richtline europaweit angewendet werden soll, müsste auch auf europäischer Ebene entschieden werden. Bis das geschehen ist, ist der Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau allerdings schon lange erteilt.
Spannend war nur, wie die Entscheidung begründet werden würde. Und sehr überzeugende Argumente haben die Kasseler Richter sich da nicht einfallen lassen. Für den Außenstehenden ist die Logik des Urteils jedenfalls nur schwer nachzuvollziehen.
So erscheint die Aussage, Flugrouten seien keine Verkehrswege und deswegen gelte die Seveso-Richtlinie nicht, doch etwas an der Haaren herbei gezogen. So ganz dürfen die Piloten ja nun doch nicht fliegen, wie es ihnen gefällt. Wenn man die Flugroute genügend weit weg legt, kann man das Überfliegen des Werks durchaus sicher genug verhindern. Bei der Beurteilung dieser Frage scheint sich der VGH allerdings selbst nicht sicher zu sein. Sonst hätte man nicht eine alternative Begründung hinzugefügt für den Fall, dass die Seveso-Richtlinie doch anwendbar sei.
Und auch diese Begründung ist durchaus gewagt. Die Flugroute an sich sei nicht gefährlicher als andere, das Problem katastrophaler Folgen bei einem Absturz auf einen Störfallbetrieb sei allein ein Problem des Betriebs, meinten die Richter für diesen Fall. Eine sehr eigenwillige Auslegung. Die Seveso-Richtlinie sagt, dass genügend Abstand zwischen Verkehrswegen und Störfallbetrieben zu halten ist, um Störfälle zu verhindern und Ihre Auswirkungen zu begrenzen. Wenn der Störfallbetrieb schon da ist, sollte eigentlich klar sein, dass das Abstandsgebot für den gilt, der einen Verkehrsweg in der Nähe einrichten will. Die Idee, dass die Menschen, die z.B. in einem Störfallbetrieb mit hoch explosiven Stoffen arbeiten, keinen Anspruch auf Schutz davor haben sollen, dass Außenstehende am Werkszaun mit Feuer spielen und das Werk deswegen in die Luft fliegt, ist nicht sehr menschenfreundlich - vorsichtig ausgedrückt.
Der Begründung des Gerichts, dass eine alternative Flugroute "unter Lärmschutzaspekten nachteilig" sei, überrascht eher - bisher hat der VGH die Belange lärmgeplagter Bürger doch eher locker gesehen. Schließlich lässt sich auch die schlimmste Lärmbelastung durch Schallschutzfenster abwehren, meinte das Gericht in den Urteilen zu den Klagen von Anwohnern gegen den aktuellen Betrieb am Flughafen. Weniger überrascht, dass die Argumente des Luftfahrtbundesamts, die Verlegung der umstrittenen Flugroute sei ohne Nachteile für Flughafen und Flugbetrieb nicht möglich, beim Gericht ungeprüft Gehör fanden. Da haben die "Luftfahrtexperten" wohl einen Bonus. Doch so nachteilig für den Flugbetrieb kann eine Verlegung der Flugroute wohl nicht sein. Schließlich ist eine alternative Flugroute, ähnlich der von Ticona vorgeschlagenen, Teil des neuen Flugroutensystems nach dem geplanten Ausbau!
Als einziger positiver Aspekt erscheint, dass das Luftfahrtbundesamt sich nicht zu Recht darauf berufen kann, was unter der Flugroute liege, sei völlig egal. Inwieweit das LBA aber Interessen der Ticona bei der Festlegung der Flugrouten abgewogen worden sein sollen, bleibt schleierhaft. Wahrscheinlich wusste man bei der Festlegung der Flugroute überhaupt nicht, dass ein Chemiewerk drunter liegt. Bis zum Raumordnungsverfahren hatte ja auch Fraport das Werk schlicht "übersehen".
Alles in allem ist die Entscheidung des VGH aber nicht überraschend. Niemand hat damit gerechnet, dass die Richter eine Entscheidung treffen würden, die den Ausbau des Flughafens kippen oder zumindest wesentlich schwieriger machen würde. Die Landesregierung hat ihre gesamte Argumentation in Sachen des Ticona-Risikos auf die These gebaut, das Risiko werde nach einem Ausbau nicht steigen. Ist das Risiko jetzt akzeptabel, ist der Ausbau gerettet, wäre es jetzt zu hoch, wäre keine Nordwestbahn möglich - oder Ticona müsste weichen.
Vielleicht haben die Richter die unklare Rechtslage geeignet interpretiert, weil sie wissen, was auf dem Spiel steht. Vielleicht gibt die Rechtslage aber auch nicht mehr her. Dann wäre es höchste Zeit, sie zu ändern und die Sonderbehandlung des Luftverkehrs gegenüber anderen Verkehrsträgern auch in Sachen Sicherheit endlich zu beenden.
Offenbar sieht auch der VGH bei der genaueren Klärung der aufgeworfenen Fragen Handlungsbedarf, sonst hätte man nicht explizit die Revision zugelassen (in den bisherigen Verfahren in Sachen Flughafen haben sich die Kläger die Revision erst beim Bundesverwaltungsgericht erstreiten müssen). Vielleicht landet die Sache ja auch beim Europäischen Gerichtshof. Zumindest die grundlegende Frage, ob und wie die Seveso-Richtline europaweit angewendet werden soll, müsste auch auf europäischer Ebene entschieden werden. Bis das geschehen ist, ist der Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau allerdings schon lange erteilt.
Themen hierzuAssciated topics:
Ticona Absturz-Gefahr Klage (vor Gericht) Flugrouten Gerichtsurteile Hessischer Verwaltungsgerichtshof (VGH)
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