Ausbaubefürworter und leider auch andere, die mit der Versprechung für einen "Anti-Lärm-Pakt" auf Rattenfang gehen, haben offensichtlich bereits ganze Arbeit geleistet. In vielen Presseartikeln der letzten Zeit liest es sich so, als wäre so ein Vertrag bereits beschlossene Sache. Widerstand gegen den Ausbau oder sogar Ausbau unter den Bedingungen der "Mediation": Schnee von gestern. Das von allen Landespolitikern hoch und heilig versprochene Nachtflugverbot: kann man vergessen. Statt dessen, wird suggeriert, kann sich die Region freuen! Auf einen "Anti-Lärm-Pakt", mit dem es trotz Ausbau leiser wird.
So macht sich Fraport richtig stark für einen Anti-Lärm-Pakt. "Eine Allianz zur Reduzierung des Lärms und zur Pflege der guten Nachbarschaft ist uns lieber als zeitraubende Prozessrangelei", meint Fraport-Chef Bender, und spricht sich plötzlich für aktiven Schallschutz aus. Im Prinzip kann es Fraport wirklich egal sein, wo und wie die Flugzeuge fliegen. Den schwarzen Peter schiebt man zur DFS und vor allem zu den den Fluggesellschaften. Deren Interesse an einigen Nachtflügen müsse man natürlich berücksichtigen, damit das klappt mit dem Anti-Lärm-Pakt, meint Fraport. Und es ginge nur, wenn eine "breite Mehrheit aller Kommunen" unterschreibe (und deshalb - natürlich völlig freiwillig - nicht klagt). Alle müssten nur an einem Strang ziehen.
Wieso eigentlich die Zustimmung irgendeiner Kommune zu lärmärmeren Flugverfahren erforderlich ist, bleibt ein Rätsel. Noch nie wurde eine Kommune gefragt, ob und wie sie überflogen werden möchte, und deren Bewohner schon gar nicht. Und wie stellt Fraport sich das praktisch vor, wenn einige Kommunen doch nicht unterschreiben wollen? Werden dann zur Strafe dort die Flugrouten hin verlegt oder die lauten Flugzeuge dort entlang geschickt? Oder verweigern die Fluggesellschaften die Anwendung der lärmmindernden Maßnahmen, wenn nicht genug Unterschriften zusammen kommen - nachdem sie vorher zugeben mussten, dass die Maßnahmen möglich sind, um überhaupt einen Vertragsentwurf zustande zu bekommen?
Das Verhalten von Fraport ist ärgerlich, aber nicht unerwartet. Die Aufführung, die die an den geheimen RDF-Verhandlungen beteiligten Bürgermeister in diesen Tagen zum Besten geben, ist dagegen ein handfester Skandal. Mit Ausnahme der Offenbacher sind inzwischen alle auf den "Anti-Lärm-Pakt" eingeschwenkt und stellen nicht nur ihre Klagen gegen den Ausbau, sondern auch noch das versprochene Nachtflugverbot in Frage. Nein, sie sind nicht zufällig dabei oder als "sachkundige Privatpersonen" (wie sagte Bürgermeister Antenbrink noch?). Und den Inhalt der "Absichtserklärung", bei der jedem seriösen Ausbaugegner die Haare zu Berge stehen, tragen sie offensichtlich mit.
Da verkündet der Raunheimer Bürgermeister Jühe, zuletzt in einem großen Interview mit der Frankfurter Rundschau, der Ausbau sei mit Klagen nicht zu stoppen und das Nachtflugverbot käme wahrscheinlich sowieso nicht", ein Vertrag sei deshalb die einzige Chance zu mehr Lärmschutz für die Region. "Für die Region" sagt er, meint aber damit vor allem "für Raunheim". Das sagt Jühe ganz offen: "Wenn es alle ernst nehmen, dann kriegen wir was richtig Gutes für Raunheim", wurde er in der "Main-Spitze" zitiert. Auf der letzten RDF-Veranstaltung in Flörsheim nannte er seine "Verantwortung für 15000 verzweifelte (Raunheimer) Bürger" als Grund, der ihn zu Vertragsverhandlungen zwinge. Nach der "Vorabversion" des Vertrages soll der Anti-Lärm-Pakt vor allem denjenigen zugute kommen, bei denen es mehr als 62 Dezibel Fluglärm gibt. Und das sind außer Raunheim nicht viele, vielleicht gerade noch Offenbach.
Tatsächlich sind die im FR-Interview genannten Maßnahmen im wesentlichen die altbekannten Ideen aus dem "Fluglärmentlastungskonzept Raunheim". Dieses Konzept enthält bekanntlich neben für alle positiven Maßnahmen auch Vorschläge zur großräumigen Umverteilung von Fluglärm, die in der Region heftige Diskussionen und Widerstand auslösen würden. Die Idee, den Betroffenen solche Vorschläge jetzt im Rahmen der nicht-öffentlichen RDF-Verhandlungen still und leise als Anti-Lärm-Pakt unterzujubeln, ist zwar schlau, aber verdammt unfair. Die anderen, die den umverteilten Lärm abbekommen und zusätzlich die Folgen des Ausbaus ertragen müssen, werden sich darüber freuen. Wenn sie es rechtzeitig merken. Viele Flörsheimer Bürger haben es jedenfalls schon gemerkt: Flörsheim würde von diesen Maßnahmen wohl kaum profitieren. Trotzdem schwimmt der Flörsheimer Bürgermeister Antenbrink voll im Kielwasser von Jühe mit.
Auch die Forderung nach einem Nachtflugverbot (wohl gemerkt: nur dem Mini-Nachtflugverbot von 23-5 Uhr aus der "Mediation") stellen die Vertrags-Strategen inzwischen zur Disposition. Wenn ein paar Flugzeuge nachts fliegen müssen, ist das in Ordnung, Hauptsache, sie fliegen "möglichst lange über unbewohntes Gebiet", meint Jühe im FR-Interview. Auf die Frage, wo denn solches Gebiet in der dicht besiedelten Rhein-Main-Region noch zu finden sei, bekam die FR keine Antwort. Der Neu-Isenburger Bürgermeister Quilling sieht die Sache mit dem Nachtflugverbot seit neuestem offenbar noch lockerer. Wenn es durch steilere An- und Abflugwinkel und andere Flugrouten weniger Lärm gebe, könne man über alles verhandeln, auch über das Nachtflugverbot, meint er in der FR. Und: "Hauptsache, die Morgen- und Abend-Stunden bleiben für die Menschen erträglich". Wünschen wir ihm viel Glück beim Ausdenken von Flugrouten, die nicht über Neu-Isenburg führen!
Das Verhalten der Bürgermeister zeigt nicht nur mangelnde Solidarität mit den anderen vom Ausbau betroffenen Kommunen, sondern auch erhebliche Selbstüberschätzung. Meinen sie wirklich, sie könnten Fraport und Lufthansa große Zugeständnisse abhandeln als Preis für eine Klage, die sie selber für aussichtslos halten? Meinen sie, man könnte den Vertrag wirklich juristisch wasserdicht gestalten? Wie Fraport und Landesregierung es mit Versprechungen und auch mit Verträgen halten, haben die Betroffenen leidvoll erfahren müssen. Und selbst wenn ein Vertrag zustande käme: auch durch die besten aktiven Schallschutzmaßnahmen lässt sich die Mehrbelastung durch die mittelfristig mögliche Verdoppelung der Flugbewegungen bei einem Ausbau nicht kompensieren. Der Lärm wird höchstens anders verteilt. Die beste Maßnahme zum aktiven Schallschutz ist deshalb: kein Ausbau.
Immerhin äußert Jühe Verständnis für Ausbaugegner, die ihn jetzt für einen Verräter halten. "Die Wahrheit" tut weh, meint er dazu. Davon abgesehen, dass er natürlich im alleinigen Besitz der Wahrheit ist, hat er damit nicht unrecht. Wenn aufrechte Ausbaugegner erkennen müssen, dass Politiker, die sie jahrelang an der Spitze des Widerstandes gegen den Ausbau gesehen haben, ihnen jetzt in den Rücken fallen, um nach dem Motto "rette sich wer kann" wenigstens für ihre Kommune noch etwas herauszuholen - das tut wirklich weh.
Der Schmerz sollte dazu genutzt werden, um den betreffenden Politikern richtig auf die Füße zu treten. Auch wenn ein Vorab-Klageverzicht der Kommunen erst einmal vom Tisch ist und die Stadtparlamente die Bürgermeister erst einmal in die Schranken gewiesen haben: die Gefahr für einen faulen Kompromiss mit der Fraport ist keineswegs gebannt. Die Verhandlungen gehen nämlich weiter. Die Ausbau-Befürworter werden einen Vertrag nach Kräften fördern. Sie können den Kommunen noch Zugeständnisse für Punkte abhandeln, die in der "Mediation" längst fest versprochen waren. Bürgermeister Jühe, den die FAZ heute in einem Interview unwidersprochen als "Architekten des Anti-Lärm-Paktes" bezeichnete, wird alles versuchen, weitere Kommunen auf seine Seite zu ziehen. Und die Möglichkeit, dass nach einer Anstandsfrist zur Wahrung des Gesichtes noch andere Politiker der Versuchung erliegen, sich ihren Widerstand gegen den Ausbau für die Aussicht auf etwas weniger Lärm abkaufen zu lassen, ist leider gar nicht so klein. Nur entschlossener Widerstand der Bürger kann das große Umfallen stoppen.