Pressemitteilung der Bundesvereinigung gegen Fluglärm (BVF) vom 30.10.2015
Nach Ansicht von Pro Rheintal stellt sich bei der jetzt veröffentlichten NORAH-Studie („Noise-Related Annoyance, Cognition, and Health“) die Frage, ob es tatsächlich um den Schutz der Bevölkerung geht oder ob hier die Interessen der Geldgeber wissenschaftliche Unterstützung bekommen, mit katastrophalen Folgen für die Lärmbetroffenen. Finanziert durch die Fraport, Lufthansa und das Land Hessen, könnte es in der Studie auch darum gehen, den weiteren Flughafenausbau zu rechtfertigen und mögliche rechtliche und verkehrseinschränkende Konsequenzen abzuwehren bzw. Zeiträume zu überbrücken.
Dafür spricht auch eine überaus sorgfältige und breit in die Öffentlichkeit gestreute Kommunikation über das Studiendesign, das Zustandekommen der Studie und die wissenschaftliche Qualitätssicherung. Das alles ist notwendig, aber die unüblich aufwendige Präsentation deutet doch auf eine bewusste Absicherung hin. Hier muss nach Ansicht von Pro Rheintal geprüft werden, ob das Zustandekommen und die Beteiligung an der Studie und die Kosten von nahezu 10 Millionen Euro wirklich dem Zweck entsprechen und ob durch die offenkundige Entwarnung bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Kindern und Erwachsenen kein irreparabler Schaden entsteht.
In der NORAH-Studie, die am Donnerstag in Frankfurt vorgestellt wurde, wird die Behauptung aufgestellt, Lärm sei weniger gesundheitsschädlich als vermutet. Insbesondere bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen sehen die Herren Professoren, angeführt von Psychologen, eine deutliche Entwarnung. Das widerspricht weitgehend den bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Studienergebnissen. Der Epidemiologe Prof. Eberhard Greiser, der im Auftrag des Umweltbundesamtes umfassende Lärmuntersuchungen rund um den Flughafen Köln-Bonn durchgeführt hat, konnte dort erhebliche Risikozunahmen insbesondere im Bereich der Herz-Kreislauf-Erkrankungen feststellen.
Dr. René Weinandy vom Umweltbundesamt erklärt dazu: „Das deckt sich mit allen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die wir haben. Wenn Lärm ein Risikofaktor ist, der Krankheiten erzeugt, wie im gravierenden Maße Herzinfarkte und Schlaganfälle, ist natürlich ganz klar, dass Lärm auch Lebensjahre kostet.“ Das bestätigen auch die Ärzte und Internisten, die rund um den Flughafen Köln-Bonn angesiedelt sind und denen insbesondere die Herz-Kreislauf-Beschwerden ihrer Patienten immer wieder die Dringlichkeit des Handelns vor Augen führen.
Ähnlich ist es am Flughafen Frankfurt. Hier sagte Prof. Dr. med. Ernst-H. Scheuermann bei einer Kundgebung am 2. Juni 2014 zu den Risiken für Kinder:
„1998 publizierten Evans et al. ihre Ergebnisse einer Untersuchung in der Umgebung des neu eröffneten Münchner Flughafens. Nach der Eröffnung des Flughafens wurde ein signifikanter Anstieg des Blutdrucks der Kinder unter der vermehrten Fluglärmbelastung beobachtet. Auch im Rahmen der RANCH-Studie, die primär darauf angelegt war, den Effekt des Lärms auf kognitive Funktionen zu untersuchen, wurde ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Fluglärm und Blutdruck bei Kindern gesehen.
Vor dem Hintergrund des aktuellen Wissenstands um die Risiken von Herz- und Kreislaufschäden bei Kindern sind dies außerordentlich besorgniserregende Befunde. Zahlreiche hochrangig publizierte Untersuchungen kommen zu dem Schluss, dass sich am Blutdruck im Kindes- und Jugendalter die Entwicklung von Hochdruck und Herz-Kreislaufschäden im Erwachsenenalter voraussagen lässt. Besonders bedeutsam ist die Erkenntnis, dass sich ein Zusammenhang zwischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Blutdruck bereits bei Blutdruckwerten von Kindern nachweisen lässt, die bisher als noch im Normbereich liegend definiert wurden.
Das Resümee kann nur sein: Fluglärm ist ein besonders heimtückisches Umweltgift für unsere Kinder, weil die daraus bedingten gesundheitlichen Schäden erst nach Jahren und Jahrzehnten manifest werden.“
Mit Blick auf die NORAH-Studie sagte Prof. Scheuermann: „Vor zwei Jahren haben es über 100 Ärzte als ihre Pflicht angesehen, darauf hinzuweisen, dass die NORAH-Studie unethisch ist. Im Wissen der geschilderten gesundheitlichen Risiken des Fluglärms, insbesondere für Kinder und Jugendliche, wurde die neue Landebahn in Betrieb genommen und damit für die Menschen die Belastung mit dem Umweltgift Fluglärm gesteigert. Und die Initiatoren der NORAH rühmen sich nun, die gesundheitlichen Folgen dieser vorsätzlichen Zerstörung der Umwelt für die Menschen in einer Studie zu evaluieren. Ein solches Experiment, das keine Rücksicht auf die Gesundheit der Menschen nimmt, ist skrupellos und menschenverachtend.“
Auch Prof. Dr. med. Thomas Münzel von der Universitätsklinik in Mainz, der als Kardiologe speziell die Gefäßbeeinflussung und Herz-Kreislauf-Risiken an Studenten untersucht hat, bestätigt den enormen Effekt den schon mittlere Lärmpegel nach kurzer Zeit auf die Blutgefäße haben, und das bei jungen und gesunden Menschen (Studenten).
Seit langem sind sich führende Lärmforscher wie Prof. Dr. med. Manfred Spreng (Universität Erlangen) und Prof. Dr. med. Barbara Griefahn, (Universität Bochum), die den Lärm der unterschiedlichen Verkehrsarten untersucht haben, einig, dass insbesondere das plötzliche Anschwellen des Lärms von Flugzeugen vornehmlich zu Blutdruckerhöhungen und in Folge zu Herz- und Kreislauferkrankungen führt. Dem stimmt auch Dr. Wolfgang Babisch, einer der führenden Wissenschaftler des Umweltbundesamtes, zu, der vor dem versammeltem Hessischen Landtag sagte: „Die vorliegenden Studien erlauben mir die Aussage: Ja, es gibt kausale Zusammenhänge zwischen Fluglärmbelastung und Gesundheit, zwischen Fluglärm und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.“
Noch im Juni dieses Jahres hatten sich auf Einladung der Länder Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz Lärmforscher, zu denen auch Prof. Gusky (NORAH) und Prof. Greiser gehörten, getroffen und anhand einer Literaturstudie über den Stand der Forschung festgestellt, dass Lärmstress insbesondere Herz-Kreislauf-Erkrankungen zur Folge hat. Dabei ging es zwar um Bahnlärm, verbunden mit nächtlichem Lärm und Schlafstörungen, aber die Erkenntnis trifft für jede Art von Verkehrslärm und Störung zu, also auch bei Fluglärm, wie ausdrücklich festgehalten wurde.
Für Pro-Rheintal-Sprecher Frank Gross ist es mehr als bedenklich, wenn Mediziner im Hinblick auf Gesundheitsgefahren an einem Flughafen oder Atomkraftwerk in ihren Studien die falschen Fragen stellen und den Vergleich mit unbelasteten Regionen scheuen. Das ist, als würde man die Menschen in Fukushima wieder in ihre Häuser zurückschicken, weil Mediziner es als „unbedenklich“ eingestuft haben. Gross sieht hier neben der Justiz auch die Universitäten gefordert, diese Studie und ihre Verfasser einmal genauer unter die Lupe zu nehmen, denn sie heuchele der ansässigen Bevölkerung eine Sicherheit vor, die keiner dieser Mediziner behaupten, geschweige denn verantworten könne.
Gross dazu: „Wir sind schon vor Jahren auf NORAH aufmerksam geworden, als wir beispielsweise 2012 auf eine Protestnote an den damaligen Lufthansa-Chef Dr. Franz ein Schreiben erhielten, das die gesundheitlichen Folgen kleinredete und dabei bereits auf die NORAH-Studie hinwies, ohne zum damaligen Zeitpunkt überhaupt wissen zu können, zu welchen Ergebnisse die Studie kommt.
Die Definition von Lärm als Schall, der Menschen je nach Situation und Umständen erheblich stresst und als Dauerstress insbesondere Herz-Kreislauf-Erkrankungen herbeiführt, ist seit mehr als 50 Jahren wissenschaftlicher Konsens. Dass ausgerechnet Psychologen die physiologi-schen Prozesse besser einschätzen wollen, als dies Herzspezialisten, Physiologen und Epidemiologen seit langem tun, erscheint überaus fraglich.
Die Frage, die sich bei der Beurteilung einer Studie stellt, ist nicht so sehr, was die Studie herausgefunden hat, sondern ob die Fragestellung auf das richtige Ziel ausgerichtet wurde. Deshalb hatte Prof. Greiser die NORAH-Forscher mit der Frage konfrontiert, warum sie die Ergebnisse im verlärmten Gebiet rund um den Flughafen nicht wie normalerweise üblich mit Ergebnissen aus anderen und nicht durch Fluglärm belasteten Gebieten vergleichen. Denn es liegt doch auf der Hand, dass sich aus einem solchen Vergleich am deutlichsten und einfachsten ableiten lässt, ob in der Region rund um den Flughafen die Menschen häufiger krank werden als in anderen Regionen. So wie vor und nach der Eröffnung am Münchner Flughafen gemessen wurde und dabei der Blutdruck schon bei Kindern deutlich höher lag, ist am europäischen Drehkreuz Frankfurt mit höchster Wahrscheinlichkeit von verheerenden Herz-Kreislaufbelastungen auszugehen.
Das dies nicht den Interessen der Auftraggeber der Studie entspricht ist verständlich, und so wirken die Ergebnisse der NORAH Studie wie bestellt. Auch die Antwort der NORAH-Wissenschaftler auf die Fragestellung von Prof. Greiser, warum keine Vergleiche mit anderen Regionen angestellt würden, entspricht eher dem Zünden von Nebelkerzen als einer handfesten Begründung.
Das Bürgernetzwerk Pro Rheintal, das seit Jahren eine Gesundheitsuntersuchung an Bahnlinien fordert, weil die heutigen Lärmgesetze keinen direkten Bezug zu der gesundheitlichen Betroffenheit der Menschen haben, will jetzt bundesweit Geld sammeln, um eine unabhängige Studie unter der Aufsicht des Umweltbundesamtes zu finanzieren. Gross dazu: „Der VW-Abgas-Skandal zeigt, dass der Staat lieber wegschaut, wenn es um die Gesundheit der Menschen geht, und sich bei der Frage „Geld oder Leben?“ eindeutig auf die Seite des Geldes schlägt.
Dies sei aber kurzfristig und falsch gedacht, weil die Menschen entscheidend zum Wohle der Wirtschaft beitragen und krank oder unausgeschlafen ihre Unternehmen und ihren Staat nicht wirklich voranbringen könnten. Die Lärmgesetzgebung müsse endlich novelliert werden und sich an den gesundheitlichen Wirkungen orientieren. Dafür brauche man eine umfassende Untersuchung, die dann auch als Legitimation für den Schutz der Bevölkerung und entsprechende Investitionen diene. Eine solche Studie können zum Beispiel auch bewirken, dass jeder im Rheintal einen Anspruch auf Schallschutzfenster bekomme oder die Güterbahn hier raus müsse, sagte Gross.
Weitere Informationen unter:
Pro Rheintal e. V. Bürgernetzwerk