Die Diskussion über Metropolen und Regionalentwicklung ist derzeit sehr modern. Meist wird sie unter dem Stichwort "Standortwettbewerb" geführt. Doch nun haben einige Experten einen neuen Aspekt entdeckt: den Großflughafen als "bestimmendes Element der neuen Stadtlandschaft". "Erlebniszentrum mit Start- und Landebahn" überschrieb die Frankfurter Rundschau ihren Artikel über das neue Buch der Stadtplanerin Nina Hartwig: "Neue urbane Knoten am Stadtrand? Die Einbindung von Flughäfen in die Zwischenstadt: Frankfurt am Main, Hannover, Leipzig, München".
Hartwig greift in ihrem Buch die These von der „Zwischenstadt“ auf, die gerade sehr modern ist. Danach verändert sich das Verhältnis von Großstadt und Umland derart, dass sich das Umland aus seiner Abhängigkeit von der Kernstadt zu einer eigenständigen Siedlungskategorie entwickelt. Zu den Einfamilienhäusern und Gewerbeflächen in den Vorstädten seien in den 90ern Einkaufszentren, Großkinos, Freizeitwelten, Arenen und Messen gekommen, damit habe sich die klassische Stadt ins Umland aufgelöst. Und vor diesem Hintergrund, meint Hartwig, dass die Flughäfen "das Potenzial neuer urbaner Knoten" in sich trügen. Angeblich sollen die Geschäfte auf dem Flughafen schon mehr Umsatz machen als die Zeil. Damit sei Frankfurt Trendsetter in Deutschland.
Etwas genauer hat sich die Stadtplanerin schon mit dem Frankfurter Flughafen beschäftigt. Sie entwirft 3 Szenarien für die Zukunft:
- "Airport City": Atlanta-Variante, 100 000 Arbeitsplätze, Zeppelinheim und Raunheim wegen Fluglärm ausgestorben.
- "Regionalflughafen": Schiphol löst Frankfurt als Megaflughafen ab, weniger Arbeitsplätze am Flughafen, enorm verbesserte Umweltqualität.
- "Stadtbaustein Flughafen": Boom im Fernreiseverkehr, ein Mediationsverfahren läutet die neue Ära im Umgang mit dem Airport ein, 2007 wird eine internationale Bauausstellung in Rhein-Main geplant, die sich modellhaften Lösungen für die fragmentierte Stadt des 21. Jahrhunderts verschrieben hat, Themenschwerpunkte sind Knotenpunkte der Global City: Messen, Einkaufszentren, Entertainmentcenter.
Soweit Hartwigs Visionen. Ob beim Szenario 3, was die Autorin offenbar begeistert, jetzt ein Flughafenausbau vorgesehen ist oder nicht, steht nicht explizit dabei. Der Hinweis auf einen Reiseboom und auf ein "Mediationsverfahren" als Wendepunkt der Entwicklung von Stadt und Airport lässt aber nichts Gutes ahnen.
Akademische Thesen über Zwischenstädte, fragmentierte Städte oder ähnliches, die Träume von der Global City des 21. Jahrhunderts und der genaue Rangplatz der hiesigen Metropole in der Weltrangliste dürften den durchschnittlichen EinwohnerInnen der Region eher gleichgültig sein. Die Bewohner des Umlandes leben dort, weil sie entweder schon immer da gewohnt haben, weil im Umland Mieten und Immobilienpreise noch erschwinglich sind, oder weil sie weniger Stress und Hektik haben wollen. Freizeitwelten, Arenen (was immer auch damit gemeint ist) und Messen gehören für die meisten Vorstadtbewohner nicht zum Alltag (es sei denn durch das Verkehrschaos, das sie verursachen). Eine vernünftige Verkehrsinfrastruktur, Einkaufsmöglichkeiten vor Ort, Schulen, Krankenhäuser, Betreuung für alte Menschen, Unterhaltungsmöglichkeiten für alle Tage sind da schon wichtiger. Und die meisten machen ihre Weihnachtseinkäufe immer noch auf der Zeil (oder den Einkaufszentren anderer Städte) und nicht am Flughafen – für den Alltagseinkauf sind Geschäfte (und Parkgebühren) am Flughafen einfach zu teuer.
Dass die Städte und die Vorstädte langsam zusammenwachsen, sieht man auch ohne wissenschaftliche Betrachtung, und dass eine gemeinsame Planung für die Zukunft der gesamten Region von Nutzen wäre, liegt ebenfalls auf der Hand. Und natürlich kann man ein Einkaufszentrum, ein Großkino oder ein Hotel genauso gut am Flughafen betreiben wie anderswo, wenn man die Miete dort bezahlen kann. Problematisch wird es erst, wenn man wegen der vielen Kunden des „Einkaufs- und Erlebniscenters Flughafen“ die Kapazität der angeschlossenen Start- und Landebahnen ständig erweitern muss. Ob die Anwohner des Flughafens nämlich über die schädlichen Umweltauswirkungen eines immer weiter steigenden Flugverkehrs dadurch getröstet werden, dass sie am Flughafen so toll einkaufen können, ist äußerst fraglich.
Nina Hartwig hat für ihren "Stadtbaustein Flughafen" eine Bedingung genannt: "Voraussetzung für eine Integration des Flughafens in die Stadtregion ist ein umfassender Wertausgleich zwischen Gewinnern und Verlierern des Flughafens." Doch danach sieht es derzeit nicht aus – weder am Flughafen, noch anderswo. Die Tendenz ist eher wachsende sozialer Polarisierung: die Gewinner bekommen immer mehr, die Verlierer bleiben auf der Strecke. Und so könnte das "Erlebniszentrum Flughafen" bedeuten: mehr Profit für Fraport und einige Unternehmen, hervorragende Flugverbindungen für Manager, Entertainment für die Schickeria. Und mehr Fluglärm und Schadstoffe für den Rest, der sich nicht leisten kann wegzuziehen.
Träumen wir doch mal von einer vierten Vision: Einkaufs- und Erlebniszentrum ohne Start- und Landebahn! Wir bauen am Flughafen: einige Einkaufspaläste, ALDI, internationale Restaurants, Cafes, ein orientalischer Bazar für alles, was so angeflogen kommt, Kinocenter und Theater, eine neue Mega-Disco, Spass-Bad (so eins mit Palmen und tropischem Ambiente), Fitness-Center, Volkshochschule, Internet-Cafes, Radrennbahn auf einer stillgelegten Startbahn), Erlebnisflüge im Flugsimulator ... Für die richtige Flughafenatmosphäre projizieren wir Bilder von startenden und landenden Flugzeugen in Echtzeit auf die Wände. Leute, die immer noch fliegen wollen oder müssen, obwohl es am Flughafen so schön ist, bringt eine Magnetschnellbahn in 20 Minuten vom Erlebniszentrum zum Terminal. Zum neuen Rhein-Main-Flughafen, der jetzt ein gutes Stück weg ist, da, wo er niemand stört.
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