Der Entwurf des Fluglärmgesetzes wird gerade überarbeitet, nach Gerüchten will man in den nächsten Tagen die Kernpunkte festklopfen. Der Raunheimer Bürgermeister Jühe (Initiator der am 23.06.2006 in Berlin an die Bundestagsabgeordneten übergebenen Resolution für ein besseres Fluglärmgesetz) und der Mainzer Umweltdezernent Reichel haben zur Klärung des aktuellen Standes ein Gespräch mit Ulrich Petzold, dem umweltpolitischen Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion und Mitglied im zuständigen Umweltausschuss geführt. Über das Treffen wurde eine Gesprächsnotiz gefertigt, die auf Umwegen auch auf unseren Schreibtisch gelangt ist. Und was da zu lesen ist, ist für die Fluglärmbetroffenen alles andere als erfreulich.
Generell meinte Petzold, wichtigster Punkt bei der Überarbeitung des Gesetzentwurfs sei für ihn "weitestgehende Rechtssicherheit" gewesen. Für die Luftfahrtindustrie, versteht sich. Denn dies ist ihre Kernforderung - weitestgehende Rechtssicherheit bei möglichst geringen Kosten.
Einiges Positive für die Betroffenen wusste Petzold zu berichten. In das Gesetz solle ein Passus aufgenommen werden, dass schon bestehende Lärmschutzregelungen an Flughäfen, die über das Gesetz hinausgingen, Bestandsschutz haben sollen. Betroffene müssen also ihre Lärmschutzfenster nicht wieder ausbauen, wenn sie nicht in die vorgesehenen Lärmschutzbereiche fallen. Eine wesentliche Änderung (ab der die niedrigeren Grenzwerte für neue und wesentlich geänderte Flughäfen gelten) soll laut Petzold schon dann eintreten, wenn der Dauerschallpegel um 2 dB(A) steigt statt 3 dB(A) wie jetzt im Entwurf. Das ist immerhin etwas. Die Zahl der Flugbewegungen muss also bei gleichbleibender Lautstärke des einzelnen Überflugs jetzt nur noch um 60% größer werden statt um 100% wie bei 3 dB(A).
Doch auch wenn es für eine solche Zunahme des Lärms nicht reicht - schließlich werden die Flugzeuge ja immer leiser, oder? - kann Petzold den Betroffenen Hoffnung machen. "Man könne wohl erreichen, dass ab 2020 generell die Grenzwerte für neu ausgebaute und wesentlich erweiterte Flughäfen gelten sollen". Über die im Gesetzentwurf vorgesehene "Lex Fraport", nach der der Ausbau in Frankfurt noch nicht unter die neuen Grenzwerte fallen soll, steht nichts im Protokoll. Aber spätestens 2020 kommen die niedrigeren Grenzwerte ja dann vielleicht automatisch: bei mindestens 700 000 Flugbewegungen nach Fraport-Prognose. Wenn das kein Grund zur Hoffnung ist!
Keine 100/100-Regel ...
Die erste schlechte Nachricht gab es bei Frage der Berücksichtigung der Betriebsrichtungsverteilung für die Berechnung der Lärmschutzbereiche - Stichwort "100/100-Regel oder Realverteilung". Petzold sagte dazu, die "Fachleute der beim Umweltbundesamt eingesetzten Arbeitsgruppe Novellierung AZB seien »einstimmig oder nahezu einstimmig« zu der Ansicht gekommen, dass die (im Entwurf vorgesehene) 3-Sigma-Regelung die geeignete Berechnungsgrundlage sei". Damit "seien für ihn und die anderen mit dem Fluglärmgesetz befassten Umweltpolitiker in der CDU- und »wohl auch« SPD-Fraktion andere Modelle wie 100/100 oder Monatslärmkonzeption »vom Tisch«."
Auf den zutreffenden Einwand der Delegation, die Entscheidung über die 100/100-Regel sei doch gar nicht Aufgabe der Arbeitsgruppe gewesen, zeigte Petzold sein tiefgreifendes Verständnis der Problematik. Folgendes können wir der Gesprächsnotiz entnehmen: "Herr Petzold gab zu verstehen, dass er sich mit den Berechnungsverfahren nicht so auskenne, ihm aber signalisiert worden sei, dass die Einigung der Arbeitsgruppe »noch mal eine Verbesserung von ca. 2 dB(A)« gegenüber dem Berechnungsverfahren des Entwurfes bedeuten würde. Und wenn sich die Fachleute einig seien, dann bräuchte man sich seitens der Politik »darüber nicht weiter den Kopf zu zerbrechen«." Was das wohl für 2 dB(A) Verbesserung sind? Da staunt der Fachmann, und der Laie wundert sich!
Auch Dr. Lahl (Umweltministerium, früher eher als Verbündeter der Fluglärmbetroffenen eingeschätzt) habe die 3-Sigma-Regelung als "völlig ausreichend" angesehen, plauderte Petzold dann aus dem Nähkästchen. Und weiter: "Während sich das HMWVL über Interventionen bemüht habe, die 100/100-Regel, zumindest aber die Monatslärmkonzeption in das Gesetz zu bringen, hätte sich auf Nachfragen die Hessische Staatskanzlei gegen die Vorschläge des HMWVL ausgesprochen. Dies sei für die Überarbeitung des Entwurfes nicht förderlich gewesen." Da weiss offenbar die linke Hand der Ausbau-Unterstützungstruppe nicht, was die rechte tut. Das Wirtschaftsministerium dementierte die Darstellung inzwischen gegenüber der Presse.
Und auch kein Nachtflugverbot ...
Aber es kommt noch dicker. Auf das geplante Nachtflugverbot angesprochen, zeigte sich Petzold "erschrocken darüber, dass die hessische Landesregierung zusammen mit dem Ausbau ein Nachtflugverbot versprochen und Fraport dieses bereits beantragt habe". Seiner Auffassung nach seien Nachtflugverbote an Flughäfen, wo es bereits Nachtflüge gebe, unzulässig. Und: "Dementsprechend würde bei der Ausgestaltung des Fluglärmschutzgesetzes genau darauf geachtet, dass sich betriebliche Einschränkungen in der Nacht keinesfalls aus den Schutzregelungen ableiten lassen könnten." Wegen des geplanten Bestandsschutzes hielt Petzold aber die "Regelungen der Mediation" für gesichert. Zu dumm, dass diese Regeln nirgendwo rechtswirksam festgelegt sind!
So weit, so schlecht. Die geballte Sachkenntnis und das unermüdliche Engagement unserer zuständigen Bundes-Politiker für die Belange der fluglärmgeplagten Bürger lassen wirklich Freude aufkommen. Bürgermeister Jühe meint denn auch enttäuscht, "nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts zu Berlin-Schönefeld sei er von einer Berücksichtigung der 100/100-Regel zumindest für die Berechnung der Maximalpegel in der Nacht ausgegangen. Für den Tag hätte die Monatslärmkonzeption einen nachhaltig tragfähigen Kompromiss darstellen können".
Doch so einfach, wie er sich das erhofft haben mag, geht es mit der Lobby-Arbeit eben doch nicht. Nur weil einige Betroffene eine nett formulierte Resolution der Art "bitte nehmt doch Rücksicht auf uns" nach Berlin bringen, gibt die mächtige Luftfahrtlobby ihre Pläne nicht auf. Statt den Abgeordneten zu signalisieren, das Gericht habe doch die 100/100-Regel für die Nacht gut befunden und für den Tag wäre man ja mit einem Kompromiss zufrieden, und darauf zu hoffen, dass sie aus den Andeutungen schon die richtigen Schlüsse ziehen, hätte man deutlich und entschieden auf der 100/100-Regel bestehen müssen. Gute Gründe gibt es dafür genug. Kompromisse mit einem Gegner zu schließen, der nicht die Zähne zeigt, hat die Luftverkehrswirtschaft in unserem Land nicht nötig. Im Gegenteil, sie sagt der Politik, wo es lang geht.
Vielleicht hätte ja auch ein in Sachen Fluglärmberechnung völlig unwissender Bundestagsabgeordneter begriffen, dass ohne 100/100-Regel ein armer Flörsheimer Bürger 24 Überflüge in 289 Meter Höhe pro Nacht dulden muss, ehe er ein Schallschutzfenster für sein Schlafzimmer erhält - obwohl selbst der ehrwürdige Prof. Jansen in seinem bekannten Kriterium nur 6 x 60 dB(A)pro Nacht für tolerabel hielt. Vielleicht hätte aber auch das nichts genützt.
Doch selbst wenn ein Wunder geschieht und die Politiker in dieser einen Frage noch einlenken, steht schon fest: es wird wieder ein Gesetz zum Schutz des Fluglärms werden. Dagegen kann man dann nur noch klagen. Herr Petzold hat solche Klagen jedenfalls schon auf seiner Rechnung.
[Anmerkung: Passagen in " " sind Zitate aus der Gesprächsnotiz, solche mit »« sind wiederum Zitate innerhalb der Gesprächsnotiz.]Fluglärmgesetz Fluglärmschutz Bundesregierung (Deutschland) Bundes-Politik (Deutschland) Novellierung des Fluglärmgesetzes