Jühe fordert "gerechte Verteilung des Fluglärms"
Fluglärmkommission auf neuem Kurs - Streuung statt Bündelung?
<2003-10-19>
In den neuen Vorsitzenden der Fluglärmkommission, den Raunheimer Bürgermeister Thomas Jühe, hatte man große Hoffnungen gesetzt: entschlosseneres Auftreten gegen die Lärmverursacher, mehr Transparenz für die Öffentlichkeit. Doch langsam wird klar, was Jühes eigentliche Zielsetzung in der Kommission ist: eine völlig neue Verteilung des Fluglärms in der Region durch Änderung des Systems der Flugrouten. Die Frankfurter Rundschau feiert Jühe bereits als Vertreter eines neuen Prinzips: "gerechte Verteilung" des Fluglärms, auch unter dem von OB Grandke geprägten, weniger beliebten Begriff "Demokratisierung des Fluglärms" bekannt.
Aktuelle Aufgabe der Fluglärmkommission unter ihrem neuen Vorsitzenden ist erst einmal die Prüfung von Alternativen für die im Jahr 2001 eingeführten Taunus-Flugrouten (TABUM), die der Hessische Verwaltungsgerichtshof nach einer Klage von Betroffenen angeordnet hatte. Wie Jühe diese Angelegenheit angeht, lässt Schlüsse zu, auf welchen Kurs er die Kommission in Zukunft steuern will.
Für die jetzigen Taunusflugrouten hat die DFS hat 18 Alternativen ausgearbeitet, von denen zur Zeit noch zehn übrig sind. Die werden jetzt von der Kommission diskutiert und abgewogen. Dabei will Jühe "die betroffenen Kommunen einbeziehen und dadurch mehr Transparenz schaffen". Und tatsächlich durften die Kläger gegen die Taunus-Routen ihre Argumente bei ihm vorbringen, und auch die Vertreter der von möglichen Alternativen eventuell neu betroffenen Kommunen dürfen Stellung nehmen. Das ist für die Verhältnisse der Frankfurter Fluglärmkommission schon ein revolutionärer Fortschritt, auch wenn es eigentlich eine absolute Selbverständlichkeit sein sollte.
Doch damit ist die neue Transparenz schon zu Ende. Diskutiert und entschieden wird in der Fluglärmkommission nämlich weiterhin unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Sowohl die ins Auge gefassten Flugrouten-Alternativen als auch die Kriterien, nach denen die "gerechte Verteilung" des Lärms entschieden werden soll, bleiben für die Bürger bis zur Entscheidung geheim: den Beteiligten, die etwas wissen, ist ein Maulkorb verpasst worden. Die direkt Betroffenen werden also - wie bisher - erst von ihrem Glück erfahren, wenn es zu spät ist.
Jühe weiß warum: "Das Thema ist hochsensibel", weil einige Alternativen "für bestimmte Gemeinden zum ersten Mal eine Fluglärm-Betroffenheit darstellen würden". Kein Wunder, dass er sich gegenüber der Frankfurter Rundschau freut, trotz drohender Neu-Belastung einiger Kommunen bisher keinen "Protestschrei" gehört zu haben. Woher sollte der auch kommen? Von Kommunalvertretern, die bisher mit dem Fluglärm keinerlei Erfahrung haben? Die von Lärm bedrohten Bürger wären da wesentlich unbequemer ...
Doch das Projekt Taunusflugrouten ist für den neuen Vorsitzenden offenbar erst der Anfang. Danach hat sich Jühe vorgenommen, den Fluglärm in der Region total neu zu verteilen: "Wir müssen uns Gedanken machen, wie es ganz anders geht". Wichtigstes Ziel dabei, auch wenn es nicht so deutlich gesagt wird: Entlastung von Raunheim, allerdings auf Kosten anderer.
In Raunheim wurde ein Lärmminderungsplan erarbeitet, in dem gefordert wird, bei Ostwind (dann liegt Raunheim direkt unter der Landeanflugroute) auf der Startbahn West zu landen anstatt zu starten. Damit wäre zwar Raunheim den Fluglärm weitgehend los. Der Pferdefuß: alle Starts (statt bisher etwa 50 %) müssten dann auf den Parallelbahnen in Richtung Osten stattfinden, die dort unter den Flugrouten liegenden Gemeinden bekämen wesentlich mehr Lärm ab. Jühe nennt das verharmlosend "nur geringe zusätzliche Belastung für andere Kommunen": ein Zeichen dafür, dass die Diskussion über diese Vorschläge nicht fair geführt werden wird. Wie der Anflug zur "Landebahn 18 West" im weiteren Umkreis aussehen könnte, lässt man lieber in Unklaren. Wahrscheinlich würden ganz neue Orte auch in weiterer Entfernung vom Flughafen neu mit dem Fluglärm Bekanntschaft machen.
Die "gerechte Verteilung" des Fluglärms durch noch breitere Streuung wirft jede Menge Probleme auf, besonders wenn nach Jahrzenten Betriebszeit an einem bestehenden Flughafen der ganze Status Quo völlig umgekrempelt werden soll. Die Zahl der Fluglärmbetroffenen würde erheblich zunehmen, das Rhein-Main-Gebiet würde noch großflächiger verlärmt und damit zum Wohnen unattraktiv. Langfristigen Investitionsentscheidungen und Planungen vieler betroffener Bürger ("wo ziehe ich hin, wo baue ich ein Haus") würde nachträglich die Grundlage entzogen. Langfristiger Streit wäre vorprogrammiert. Das Risiko wäre groß, dass insgesamt nur die Zahl der Unglücklichen vergrößert würde.
Für Fraport wäre eine breitere Lärmverteilung dagegen ein Grund zur Freude. Durch neue Belastungen steigt zwar die Zahl der Ausbaugegner und der Fluglärmbeschwerden, doch die positiven Effekte überwiegen. Erstens: wenn der Lärm durch Verteilung überall unter die Grenzwerte gedrückt wird, ab denen Anspruch auf Schallschutz besteht, kann der Flughafen viel Geld für Lärmschutzfenster einsparen. Zweitens: Vorbelastung durch Lärm vermindert bei Klagen gegen den Ausbau die Chancen der Kläger vor Gericht und erhöht die Flexibilität für spätere Verlegung und Schaffung von neuen Flugrouten.
Drittens, und das ist der kritischste Effekt: allein die Diskussion über eine Neuverteilung des Fluglärms wirkt als Spaltpilz für die Solidarität der Kommunen gegen den Ausbau. Wenn es letzlich darum geht, ob neuer oder stärkerer Fluglärm nach A oder nach B kommt, werden auch Freunde und Verbündete schnell zu Gegnern. Darauf warten Fraport und andere Ausbau-Befürworter schon lange.
Allein deshalb haben uns Projekte zur "Demokratisierung des Fluglärms" jetzt gerade noch gefehlt.
Aktuelle Aufgabe der Fluglärmkommission unter ihrem neuen Vorsitzenden ist erst einmal die Prüfung von Alternativen für die im Jahr 2001 eingeführten Taunus-Flugrouten (TABUM), die der Hessische Verwaltungsgerichtshof nach einer Klage von Betroffenen angeordnet hatte. Wie Jühe diese Angelegenheit angeht, lässt Schlüsse zu, auf welchen Kurs er die Kommission in Zukunft steuern will.
Für die jetzigen Taunusflugrouten hat die DFS hat 18 Alternativen ausgearbeitet, von denen zur Zeit noch zehn übrig sind. Die werden jetzt von der Kommission diskutiert und abgewogen. Dabei will Jühe "die betroffenen Kommunen einbeziehen und dadurch mehr Transparenz schaffen". Und tatsächlich durften die Kläger gegen die Taunus-Routen ihre Argumente bei ihm vorbringen, und auch die Vertreter der von möglichen Alternativen eventuell neu betroffenen Kommunen dürfen Stellung nehmen. Das ist für die Verhältnisse der Frankfurter Fluglärmkommission schon ein revolutionärer Fortschritt, auch wenn es eigentlich eine absolute Selbverständlichkeit sein sollte.
Doch damit ist die neue Transparenz schon zu Ende. Diskutiert und entschieden wird in der Fluglärmkommission nämlich weiterhin unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Sowohl die ins Auge gefassten Flugrouten-Alternativen als auch die Kriterien, nach denen die "gerechte Verteilung" des Lärms entschieden werden soll, bleiben für die Bürger bis zur Entscheidung geheim: den Beteiligten, die etwas wissen, ist ein Maulkorb verpasst worden. Die direkt Betroffenen werden also - wie bisher - erst von ihrem Glück erfahren, wenn es zu spät ist.
Jühe weiß warum: "Das Thema ist hochsensibel", weil einige Alternativen "für bestimmte Gemeinden zum ersten Mal eine Fluglärm-Betroffenheit darstellen würden". Kein Wunder, dass er sich gegenüber der Frankfurter Rundschau freut, trotz drohender Neu-Belastung einiger Kommunen bisher keinen "Protestschrei" gehört zu haben. Woher sollte der auch kommen? Von Kommunalvertretern, die bisher mit dem Fluglärm keinerlei Erfahrung haben? Die von Lärm bedrohten Bürger wären da wesentlich unbequemer ...
Doch das Projekt Taunusflugrouten ist für den neuen Vorsitzenden offenbar erst der Anfang. Danach hat sich Jühe vorgenommen, den Fluglärm in der Region total neu zu verteilen: "Wir müssen uns Gedanken machen, wie es ganz anders geht". Wichtigstes Ziel dabei, auch wenn es nicht so deutlich gesagt wird: Entlastung von Raunheim, allerdings auf Kosten anderer.
In Raunheim wurde ein Lärmminderungsplan erarbeitet, in dem gefordert wird, bei Ostwind (dann liegt Raunheim direkt unter der Landeanflugroute) auf der Startbahn West zu landen anstatt zu starten. Damit wäre zwar Raunheim den Fluglärm weitgehend los. Der Pferdefuß: alle Starts (statt bisher etwa 50 %) müssten dann auf den Parallelbahnen in Richtung Osten stattfinden, die dort unter den Flugrouten liegenden Gemeinden bekämen wesentlich mehr Lärm ab. Jühe nennt das verharmlosend "nur geringe zusätzliche Belastung für andere Kommunen": ein Zeichen dafür, dass die Diskussion über diese Vorschläge nicht fair geführt werden wird. Wie der Anflug zur "Landebahn 18 West" im weiteren Umkreis aussehen könnte, lässt man lieber in Unklaren. Wahrscheinlich würden ganz neue Orte auch in weiterer Entfernung vom Flughafen neu mit dem Fluglärm Bekanntschaft machen.
Die "gerechte Verteilung" des Fluglärms durch noch breitere Streuung wirft jede Menge Probleme auf, besonders wenn nach Jahrzenten Betriebszeit an einem bestehenden Flughafen der ganze Status Quo völlig umgekrempelt werden soll. Die Zahl der Fluglärmbetroffenen würde erheblich zunehmen, das Rhein-Main-Gebiet würde noch großflächiger verlärmt und damit zum Wohnen unattraktiv. Langfristigen Investitionsentscheidungen und Planungen vieler betroffener Bürger ("wo ziehe ich hin, wo baue ich ein Haus") würde nachträglich die Grundlage entzogen. Langfristiger Streit wäre vorprogrammiert. Das Risiko wäre groß, dass insgesamt nur die Zahl der Unglücklichen vergrößert würde.
Für Fraport wäre eine breitere Lärmverteilung dagegen ein Grund zur Freude. Durch neue Belastungen steigt zwar die Zahl der Ausbaugegner und der Fluglärmbeschwerden, doch die positiven Effekte überwiegen. Erstens: wenn der Lärm durch Verteilung überall unter die Grenzwerte gedrückt wird, ab denen Anspruch auf Schallschutz besteht, kann der Flughafen viel Geld für Lärmschutzfenster einsparen. Zweitens: Vorbelastung durch Lärm vermindert bei Klagen gegen den Ausbau die Chancen der Kläger vor Gericht und erhöht die Flexibilität für spätere Verlegung und Schaffung von neuen Flugrouten.
Drittens, und das ist der kritischste Effekt: allein die Diskussion über eine Neuverteilung des Fluglärms wirkt als Spaltpilz für die Solidarität der Kommunen gegen den Ausbau. Wenn es letzlich darum geht, ob neuer oder stärkerer Fluglärm nach A oder nach B kommt, werden auch Freunde und Verbündete schnell zu Gegnern. Darauf warten Fraport und andere Ausbau-Befürworter schon lange.
Allein deshalb haben uns Projekte zur "Demokratisierung des Fluglärms" jetzt gerade noch gefehlt.
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Neu-Verlärmung Flugrouten Fluglärmkommission Ffm TABUM Fluglärm-Entlastungskonzept Raunheim
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