Das Leben ist gefährlich - manchmal lebensgefährlich.
Nahezu alles, was wir tun, kann auch schiefgehen, mit mehr oder weniger schlimmen Folgen. Selbst wenn nicht aktiv etwas tun, sondern zu Hause im Bett liegen und schlafen, sind wir nicht vor Unheil sicher: sicher: ein Herzinfarkt kann uns treffen, oder das Haus kann abbrennen. Es besteht immer und überall ein Risiko.
Als Risiko bezeichnet man landläufig die Möglichkeit (oder Wahrscheinlichkeit), dass ein unerwünschtes Ereignis eintritt oder eine Handlung unerwünschte Konsequenzen hat. Das positive Äquivalent zum Risiko ist die Chance. Das Risiko wird zahlenmäßig als Verhältnis der Anzahl der Schadensfälle zu allen betrachteten Fällen angegeben oder auch als Prozentsatz angegeben. Im Alltag spielt meist das individuelle eine Rolle, also das Risiko bezogen auf eine Einzelperson.
In Deutschland wurden im Jahr 2003 ca. 6600 Menschen bei Verkehrsunfällen getötet. Bezogen auf eine Bevölkerung von ca. 80 Millionen (angenommen, alle nehmen am Straßenverkehr teil), heißt das, dass etwa jeder 12 000-ste Einwohner durch einen Verkehrsunfall stirbt - in jedem Jahr. Die Wahrscheinlichkeit für den einzelnen Einwohner ist also 1 : 12 000 oder - ganz grob - 1 : 10-4. Dies ist das individuelle Todesfall-Risiko pro Jahr. Man kann es auch so interpretieren, dass man 12 000 Jahre am Straßenverkehr teilnehmen muss, bevor es einen mit statistischer Sicherheit einmal erwischt - dies erscheint beruhigend.
Geht man davon aus, dass man etwa 60 Jahre am Straßenverkehr teilnimmt, ergibt sich ein Lebenszeit-Risiko von 1:200, was schon ungünstiger aussieht. Die Zahl der Schwerverletzten bei Verkehrsunfällen war mehr als 10 mal so groß wie die Zahl der Toten (ca. 85000). Das Risiko liegt hier etwa bei 1:1000 oder 10-3 , ist also eine Größenordnung höher. Auf die Lebenszeit umgerechnet liegt das Risiko dann bei etwa 1:20 (5 Prozent), und das ist schon ungemütlich viel. Es lohnt sich also vorsichtig zu fahren.
Die Aussage, dass ein Ereignis mit einer gewissen statistischen Wahrscheinlichkeit auftritt, sagt nichts über den Zeitpunkt, wann das Ereignis tatsächlich auftreten wird - es kann bereits morgen passieren, oder auch nie. Die statistische Wahrscheinlichkeit kann nur dazu dienen, verschiedene Risiken zu vergleichen und so zu bewerten. Motorrad fahren ist deutlich gefährlicher als Auto fahren: die Wahrscheinlichkeit hierbei zu sterben ist einen Faktor 10 höher als im Auto (10 -3). Die Wahrscheinlichkeit vom Blitz erschlagen zu werden, ist dagegen mit 10-7 sehr klein. Durch geeignetes Verhalten (z.B. bei Gewitter im Haus bleiben) lässt sich das persönliche Risiko unter den Durchschnitt vermindern.
Wie nehmen Menschen ein Risiko wahr?
Die subjektive Wahrnehmung von Risiken ist nicht immer objektiv nachvollziehbar. So fürchten sich viele Menschen vor sehr unwahrscheinlichen Ereignissen, etwa einem Atomunfall, viel mehr als vor ganz naheliegenden und viel größeren Risiken (z.B. Tod durch Rauchen, ungesunde Ernährung oder riskante Freizeitaktivitäten). Faktoren bei der subjektiven Bewertung sind die Freiwilligkeit der Risikoübernahme, die wahrgenommene Kontrollmöglichkeit, die Vertrautheit mit dem Risiko, und die gerechte Verteilung von Risiko und Nutzen Bei einem freiwillig eingegangenen Risiko ist die Toleranzgrenze bis zu 100 mal höher als bei einem aufgezwungenen. Entscheidend ist auch die Darstellung von Ereignissen in den Medien - die schrecklichen Bilder eines spektakulären Unglücks lösen große Ängste aus, auch wenn das Risiko einer Wiederholung sehr gering ist.
Auch wenn die Risikobewertung des Menschen subjektiv ist, hat sie sich über Millionen Jahre entwickelt und im Prinzip bewährt. Sie lässt sich nicht einfach abschalten, also muss man darauf Rücksicht nehmen.
Je sicherer sich Menschen fühlen, desto riskanter wird ihr Verhalten. Vor allem das Gefühl, durch moderne Technik könne nichts mehr passieren, verleitet manche Menschen hohe Risiken einzugehen - dies kann man im Straßenverkehr täglich beobachten. Auch das Gegenteil gilt. Kürzlich wurde in einem Experiment gezeigt, dass nach Abschaffung von Ampeln oder anderen definierten Vorfahrtsregeln an einer gefährlichen Kreuzung die Unfallzahlen deutlich zurückgingen! Das Risiko, die Kreuzung zu queren nahm für den einzelnen Autofahrer merklich zu, entsprechend verhielten sich die Fahrer offenbar vorsichtiger und passten besser auf. Das heißt natürlich nicht, dass man alle Sicherheitsmaßnahmen wieder abschaffen sollte, denn subjektive Sicherheit ist natürlich auch ein Stück Lebensqualität!
Das kollektive Risiko
Bei technischen Großprojekten, Umweltgefahren und ähnlichen Risiken, die eine ganze Gruppe von Menschen betreffen, definiert man das Risiko als Eintrittswahrscheinlichkeit des Schadens x Schadensausmaß.
Für die Gesellschaft ist nämlich hier weniger das individuelle Risiko, sondern die gesamte Schadensauswirkung eines eventuellen Ereignisses interessant. Die Berechnungen eines solchen kollektiven Risikos (oder Gruppenrisiko) sind komplex und meist auch mit hoher Unsicherheit behaftet - oft ist weder das erwartete Schadensausmaß noch die Eintrittswahrscheinlichkeit hinreichend genau bekannt. Deshalb betrachtet man bei Entscheidungen über riskante Projekte auch die Werte nicht bis auf die Kommastelle genau, sondern nur ihre Größenordnung (z.B. 1:1000, 1:100000, 1:100000). Wegen der Unsicherheit der Prognosen sollte immer ein großer Sicherheitsspielraum gelassen werden.
Welcher Wert für ein kollektives Risiko noch akzeptabel ist, muss von der Gesellschaft entschieden werden. In manchen Ländern gibt es festgelegte Grenzwerte dafür (z.B. maximal ein Schadens-Ereignis mit 100 Toten in 100 000 Jahren). In Deutschland sind bisher weder Grenzwerte noch Berechnungsverfahren festgelegt, und die Risikodebatte steckt noch in den Kinderschuhen.
Bei individuellen Risiken wird oft ein Bereich von 10-3 bis 10-5 als akzeptabel bezeichnet, je nach dem Grad der Freiwilligkeit des Risikos. Das entspricht etwa dem aktuellen Gefahrenbereich des Straßenverkehrs in Deutschland. Es gibt aber auch Länder, die beim Risiko im Straßenverkehr viel ehrgeizigere Ziele anstreben: in Schweden wird z.B. aktiv ein Leitbild "Null Tote und Schwerverletzte im Straßenverkehr" ("Vision Zero") verfolgt. Bei kollektiven Risiken werden oft bei Schadensfällen mit potentiell vielen Toten deutlich schärfere Maßstäbe angelegt als aus der Summe der Einzelrisiken folgen würde.
Das Risiko in den Griff bekommen
Ein Risiko in als potentiell als gefährlich erkannten Bereichen läßt sich meist durch bestimmte Maßnahmen verkleinern (Verwendung geeigneter Materialien, Sicherheitsmaßnahmen, Arbeitsschutz, Rettungssysteme). Ein Bündel geeigneter Maßnahmen und Verfahren zum geplanten Umgehen mit dem Risiko bezeichnet man als Risikomanagement. Gegen das verbleibende Risiko ist manchmal - aber nicht immer - eine Versicherung möglich.
Manche "große" Risiken sind so diffus und komplex, dass sie sich nicht mathematisch erfassen lassen (etwa Folgen der Gentechnik, Klimawandel). Solche Risiken sind in der Gesellschaft heftig umstritten, wobei natürlich nicht nur die Fakten, sondern auch handfeste Interessen ein Rolle spielen. Je nach Größenordnung von Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß kann man die Risiko-Szenarien in verschiedene Risiko-Typen einteilen ( -> Risiko-Typen bei Wikipedia ) und versuchen, sich wenigstens auf Grundregeln für den Umgang mit den verschiedenen Typen von Risiken zu einigen.
Generell sollte gelten: Bei neuen Planungen sollte ein vermeidbares Risiko möglichst vermieden werden! Nur, wenn es gar nicht anders geht,sollte man sich darauf beschränken, das Risiko zu verkleinern und damit unter die Akzeptanz-Schwelle zu drücken! Wenn das Kind erst einmal in den Brunnen gefallen ist, ist es zu spät.
Mehr zum Thema Risiko:
- Sicher genug? von Prof. Schneider. ETH Zürich
Ein gut verständlicher einführender Artikel über die mögliche Behandlung von kollektiven Risiken.
Droht Schließung des Flughafenbahnhofs?