Grundsatzurteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes zum Planungsrecht
Viele Planungen müssen nach diesem Urteil überdacht werden
Von: @VBe <2001-06-26>

In einer Presseerklärung weist der Weimarar Rechtsanwalt Matthias M. Möller-Meinecke auf die weitreichenden Folgen eines Urteils des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes hin.

Obwohl an keiner Stelle das Wort "Flug" vorkommt, sind die Erläuterungen dennoch von großem Interesse für das weitere Vorgehen in Sachen Ausbau des Frankfurter Flughafens. Doch lesen Sie selbst:


Matthias M. Möller-Meinecke

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht



Presseerklärung

Das heute veröffentlichte Grundsatzurteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes vom 31. Mai 2001 (Az.: 3 N 401/97) zu den Fragen

  • Wann muß die Neuplanung einer Gemeindestraßen zuvor auf ihre Raumverträglichkeit bei der Aufstellung des Regionalplanes (Raumordnungsprogrammes) geprüft werden?
  • Haben die Gemeinden ihre Flächennutzungspläne an entgegenstehende Ziele der Raumordnung anzupassen?
  • Wie ist der Konflikt zwischen einer Landschaftsschutzverordnung und einer Straßenneuplanung zu lösen?
  • Ist die Tierwelt bei der Aufstellung eines Bebauungsplanes zu kartieren?

wird nachfolgend systematisch zusammengefaßt und erläutert.

Sachverhalt

Seit 1972 plant die südhessische Stadt Kronberg im Taunus (20.000 Einwohner) eine Stadtentlastungsstraße (STEL). Gegen das 33 Mio DM teure und 3,7 km lange Projekt klagten vierzehn betroffene Grundstückseigentümer erfolgreich vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof.

Das Gericht stützt seine Entscheidung auf vier Gründe, die jeder für sich zum rechtlichen Scheitern des hier genutzten Planungsinstrumentes des Bebauungsplanes geführt hätten.

  1. Neubau einer Gemeindestraße von mehr als 1 km Länge bedarf einer Raumverträglichkeitsprüfung


    Eine Gemeindestraße von mindestens 1 km Länge ist ein "raumbedeutsames Vorhaben", das nicht ohne Prüfung seiner Raumverträglichkeit und nach einem positiven Prüfungsabschluß nicht ohne Darstellung im Regionalplan oder Raumordnungsprogramm von der Gemeinde geplant werden darf. Raumbedeutsam ist eine Planung oder Maßnahmen, durch die Raum in Anspruch genommen (a) oder die räumliche Entwicklung oder Funktion eines Gebietes beeinflußt wird (b) (§ 3 Nr. 6 Raumordnungsgesetz). Widerspricht die Trasse einer solchen Gemeindestraße gegenläufigen Darstellungen im Regionalplan mit der Qualität eines "Zieles" der Raumordnung (c) und wurde die straßenplanende Gemeinde an der Aufstellung der Raumordnungsziele beteiligt (d), verstößt eine gleichwohl betriebene Straßenneuplanung der Gemeinde gegen die Pflichten zur Anpassung an die Belange der Raumordnung (§ 5 Abs. 4 ROG) und die Pflicht zu deren Beachtung (§ 1 Abs. 4 BauGB).

    (a) Eine Gemeindestraße ist - so der Hessische Verwaltungsgerichtshof – raumbeanspruchend und damit zwingend von regionalplanerischer Bedeutung, wenn sie eine Trassenlänge von mindestens 1 km hat.

    (b) Jedenfalls eine Gemeindestraße, die eine Verbindungsfunktion zwischen einer Bundesfernstraße und einer Landesstraße anstelle der bisher durch den Ort führenden Landesstraße erhalten soll und einen nicht unerheblichen überörtlichen Verkehr aufnehmen soll, ist nach Ansicht des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes auch raumbeeinflussend.

    (c) Zu den Zielen der Raumordnung können nach der vom Verwaltungsgerichtshof zu beurteilenden Planungssituation zählen, dass erstens der in Landschaftsschutzgebieten jeweils in der Verordnung verfolgte Schutzzwecke Vorrang vor entgegenstehenden Nutzungsansprüchen hat und dass zweitens in regionalen Grünzügen bauliche Anlagen oder Flächenversiegelungen nicht statthaft sind.

    (d) Wird eine Gemeinde an der Aufstellung von Zielen der Raumordnung im Verfahren ordnungsgemäß beteiligt, ist sie zur Beachtung dieser Ziele bei all ihren Planungen zwingend verpflichtet.

    Das Urteil vom 31. Mai 2001 bewirkt, daß bundesweit die laufenden Neuplanungen für Gemeindestraßen mit einer Baulänge von mehr als 1 km gestoppt werden müssen, weil zuvor vom jeweiligen Bundesland eine Prüfung der Raumverträglichkeit durchgeführt werden muß.

    Im Fall der Kronberger Stadtentlastungsstraße wird die Raumverträglichkeit an der nach Bewertung des Gerichts "besonders wertvollen" Funktion der als "Regionaler Grünzug" dargestellten Wiesen "für die Bildung von Kalt- bzw. Frischluft und damit für die Belüftung der angrenzenden Ortslagen und des klimatisch belasteten Ballungsraumes Frankfurt" scheitern. Denn die Straßentrasse würde den westlichen Frankfurter Vororten die Frischluft abschneiden. Dieser Belang ist für die Gesundheit von Zehntausenden so wichtig, daß er durch politische Entscheidungen bei der Fortschreibung des Regionalplanes nicht überwunden werden kann. Jedenfalls würden die 14 Kläger eine solche Entscheidung erneut mit Aussicht auf Erfolg anfechten.

  2. Ein Flächennutzungsplan muß dauerhaft den Zielen der Raumordnung angepasst bleiben

    Ein Flächennutzungsplan muß den Zielen der Raumordnung nicht nur bei seiner Aufstellung angepasst werden, sondern - so der Hess.VGH im Urteil vom 31. Mai 2001 - er "muß ihnen auch danach dauerhaft angepasst bleiben". Bei der Frage, wann diese Anpassung zu geschehen hat, hat die Gemeinde einen gewissen Spielraum. Der endet aber nach Bewertung des Gerichts dann, wenn der Flächennutzungsplan parallel zur Aufstellung eines neuen Bebauungsplanes geändert wird.

    Die Gemeinden können aus den durch die Raumordnungsplanung überholten Inhalten ihrer Flächennutzungsplanung zudem keinen "Bestandsschutz" für alte Planungen ableiten. Sie sind vielmehr verpflichtet, den Flächennutzungsplan den geänderten Zielen der Raumordnung ohne wenn und aber anzupassen.

    Dies bewirkt, daß bundesweit zahlreiche Gemeinden ihre weitreichenden Wachstumsplanungen in ihren Flächennutzungsplänen zugunsten von Straßen aber auch von neuen Baugebieten jetzt den Inhalten der Regionalpläne der Länder anpassen müssen. Diese Regionalpläne sind zunehmend einer nachhaltigen Entwicklung verpflichtet und setzten die gesetzlichen Vorgaben etwa des Biotop-, Arten- und Klimaschutzes um.

  3. In einem Landschaftsschutzgebiet ist ein Straßenneubau auch nicht ausnahmsweise genehmigungsfähig

    Wird eine Landschaftsschutzverordnung von einer Planung und deren Durchsetzung betroffen, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und dem Urteil des Hess.VGH vom 31. Mai 2001 eine (Bau-)Planung fehlerhaft, wenn die Schutzverordnung nicht zuvor aufgehoben wurde.

    Vor dieser Entscheidung ist nach § 15 Bundesnaturschutzgesetz zu prüfen, ob eine Schutzwürdigkeit der Flächen unverändert gegeben ist; das ist nach den gesetzlichen Vorgaben der Fall, wenn ein besonderer Schutz von Natur und Landschaft

    1. zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts oder der Nutzungsfähigkeit der Naturgüter,
    2. wegen der Vielfalt, Eigenart oder Schönheit des Landschaftsbildes oder
    3. wegen ihrer besonderen Bedeutung für die Erholung
    erforderlich ist. Ist nur eines der drei Kriterien erfüllt, darf die Landschaftsschutzverordnung nicht aufgehoben werden.

    Diese Teil der Entscheidungsbegründung beendet eine in der Vergangenheit zu beobachtenden leichtfertige Selbstbedienungsmentalität zu Lasten von Landschaftsschutzgebieten. Wo immer dieser Schutzstatus entgegenstand, wurde kurzerhand eine Ausnahme oder Befreiung erteilt; diese Praxis kennzeichnet das Urteil als rechtswidrig. Zukünftig muß nach den Kriterien des Naturschutzgesetzes geprüft werden, ob die Schutzbedürftigkeit der Fläche weiterhin gegeben ist; wird dies bejaht, muß auf neue Straßen und Gewerbegebiete in einem Landschaftsschutzgebiet verzichtet werden.

    Entscheidungskriterien dafür können sein:

    1. Eine alleinigen Herausnahme der Fläche für eine Straße führt zu einer bandartigen Zerschneidung und Abtrennung des Landschaftsschutzgebietes in diesem Bereich, was dem großräumigen Schutzgedanken des Naturschutzgesetzes widerspricht.
    2. Erfaßt eine Reduzierung des Landschaftsschutzgebietes ökologisch wertvolle Bereiche und erfahren diese durch die Straßennutzung eine erhebliche Belastung, kann trotzdem die Schutzbedürftigkeit der Fläche weiterhin bestehen. Aus beiden Argumenten hatte die Hessische Landesregierung im Schreiben vom 12.12.1994 bei der Kronberger Straße eine Aufhebung des Landschaftsschutzgebietes abgelehnt.
    3. Die Flächen können Teil eines Lebensraumes sein, dessen Schutz nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU und § 19a ff. des Bundesnaturschutzgesetzes (Europäisches Netz Natura 2000) nicht durch eine gegenläufige Planung vereitelt werden darf, weiterhin zu schützen ist. Ein Verstoß gegen diese Pflicht kann gegenüber der EU – Kommission gerügt werden und zum rechtlichen Scheitern jeder auf einem solchen Verstoß aufbauenden Planung führen.
    4. Die Neuplanung kann gesetzlich geschützte Biotope wie Feuchtwiesen, Röhrichte oder Streuobstwiesen beeinträchtigen, die unter besonderen Schutz des Naturschutzgesetzes stehen. Diese sind zur Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes durch die Entscheidung des Landesgesetzgebers zwingend zu erhalten, was der Aufhebung des Landschaftsschutz entgegensteht.
    5. Die Neuplanung kann den Lebensraum artengeschützter Tiere und Pflanzen beeinträchtigen.

  4. Fehlende Kartierung der Tierwelt

    Unterläßt eine Gemeinde bei der Aufstellung einer raumbedeutsamen Planung die Kartierung der Tierwelt, verstößt die Planung, hier der Bebauungsplan, gegen das Gebot der gerechten Abwägung (§ 1 Abs. 5 Satz 2, Abs. 6 BauGB). Generell ist bei solchen Planungen nach dem Urteil vom 31. Mai 2001

    • "eine Bestandsaufnahme des Lebensraumes von Tieren und Pflanzen,
    • eine sachkundige Auswertung derselben" und der Folgen des Eingriffs in Natur und Landschaft sowie
    • "eine Zusammenstellung möglicher Ausgleichsmaßnahmen"

    unerlässlich. Zwar können aus der Kartierung der vorgefundenen Biotopnutzungstypen Rückschlüsse auf die mit ihnen regelmäßig verbundene Tier- und insbesondere Vogelwelt ergeben, erforderlich ist zusätzlich "jedoch die standortgerechte Ist-Aufnahme der vorfindlichen Tierbestände im Plangebiet und dem betroffenen Nachbarbereich. Die Kartierung der faunistischen einschließlich der ornithologischen Bestandsergebnisse ist auch deshalb erforderlich, damit die Gemeinde sie bei ihrer Abwägung der Belange des Naturschutzes berücksichtigen kann."

    Wird "ein Landschaftsplan in den Bebauungsplan integriert, der eine derartige (faunistische) Bestandsaufnahme enthält, kann nicht generell eine zusätzliche Bestandsaufnahme neben dem vorhandenen Landschaftsplan gefordert werden, wenn sich die Erforderlichkeit für die Gemeinde nicht aufdrängt oder aus Hinweisen von Trägern öffentlicher Belange ergibt." (Hess.VGH Urteil vom 25.05.2000 Az. 4 N 2660/91)

    Diese Entscheidung bewirkt zusätzliche Pflichten der Gemeinden bei der Bauleitplanung; ohne die bislang unübliche Kartierung der Tierwelt droht ihren Bebauungsplänen die gerichtliche Aufhebung. Das Risiko ist aber für die Gemeinden nicht gebannt, wenn das Baugebiet errichtet ist, denn, so Rechtsanwalt Möller-Meinecke, "auch bei der Anfechtung von Beitragsbescheiden für den Bau von Erschließungsanlagen wie der Wasserversorgung, Abwasseranlagen oder dem Straßenbau können diese Mängel des Bebauungsplanes noch gerügt werden und zu hohen Einnahmeausfällen der Gemeinden führen."

Rückfragen an: Rechtsanwalt Möller-Meinecke Tel. 036 458 496 -10

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