Deutscher Bundestag billigt Staatsvertrag mit der Schweiz
Der Opposition gehen die Flugbeschränkungen nicht weit genug - aber nur in der Schweiz
<2002-05-24>
Der Deutsche Bundestag hat in der letzten Woche in dritter Lesung dem umstrittenen Staatsvertrag zwischen Deutschland und der Schweiz über die Fluglärmverteilung zugestimmt. Nach heftiger und kontroverser Debatte stimmten die Koalitionsfraktionen SPD und Grüne sowie die PDS für das Abkommen. CDU/CSU und FDP scheiterten mit ihrem Vorhaben, die Ratifizierung zu aufzuschieben oder ganz zu verhindern. <br /> <br /> Zufrieden ist mit dem Vertrag keiner: die Regierung nicht, die Opposition überhaupt nicht und die Schweiz natürlich schon gar nicht. Die Regierungskoalition beurteilte den Vertrag zwar nicht als optimal, aber immerhin als Verbesserung. "Ich kann der Schweiz nur empfehlen, diesen Vertrag anzunehmen, denn ansonsten werden wir mit einer Rechtsverordnung auf einem ganz anderen Niveau reagieren", drohte Verkehrsminister Bodewig den Schweizern. Etwas rücksichtsvoller, aber in der Sache ähnlich, äusserte sich der bayrische Verkehrsexperte Ali Schmidt von den Grünen: "Ich möchte inständig die Kolleginnen und Kollegen in der Schweiz, die mir schon geografisch sehr am Herzen liegt, bitten, sich keinen illusionären Erwartungen hinzugeben ... Neuverhandlungen würden es für die Schweiz nicht besser machen". Schmidt hält den Vertrag für einen fairen Interessenausgleich, an dem die Bewohner des deutschen Grenzgebiets ebenfalls "zu schlucken" hätten. <br /> <br /> Ganz anders dagegen die CDU. Der Konstanzer Abgeordnete Hans-Peter Repnik nannte den Vertrag "eine schallenden Ohrfeige" für die süddeutsche Grenzregionwarf. Er sprach von einem deutscherseits "dilettantisch ausgehandelten Luftverkehrsabkommen, das einseitig die Bodenseeregion und den Südschwarzwald belastet" und warf Rot-Grün vor, Politik gegen die betroffenen Menschen zu machen. <br /> <br /> Die Fürsorge gewisser deutscher Politiker für die fluglärm-geplagten südbadischen Bürger ist wirklich rührend. Die doppelte Moral von Verkehrsminister Bodewig kennen wir schon: hierzulande für den Ausbau aller möglichen Flughäfen und gegen ein Nachtflugverbot, aber ein engagierter Streiter für Gesundheit und Lebensqualität der Bürger dort, wo es ihn nichts kostet und nur die Schweizer stört. Doch ganz besonders fällt der plötzliche Einsatz Einsatz von CDU und FDP gegen den Fluglärm auf: sind dies doch ansonsten die Parteien, die selbst einer ziemlich verwässerten Novellierung des Fluglärmgesetzes in Deutschland erbitterten Widerstand entgegensetzen. Und die in den vergangenen Jahren, als sie an der Regierung waren, gar nichts gegen die Belastung der süddeutschen Bevölkerung getan haben. Aber als "Politik gegen die betroffene Bevölkerung" haben sie das bisher nie gesehen.<br /> <br /> In der Schweiz bedauert man die Entscheidung des Bundestages, aber man hat es nicht anders erwartet. Die heftigen Attacken der Opposition gegen den Staatsvertrag sieht man gelassen: man weiss, es ist Wahlkampf. Ein spöttischer Kommentar einer Schweizer Zeitung: "Die Oppositionsredner dagegen demonstrierten Unzufriedenheit und inszenierten sich vor der Wählerschaft als entschlossene Lärmschutz-Patrioten".<br /> <br /> Ganz nebenbei liess der Albert Schmidt (Grüne) eine andere Katze aus dem Sack. Die Hoffnung der Schweizer, die Auflagen für den Flughafen Zürich würden den Ausbaugegnern in Frankfurt oder anderen deutschen Städten wegen der wesentlich lascheren Vorschriften dort Auftrieb geben, sei vergebens. Spätestens seit den Terroranschlägen vom 11. September habe das Kanzleramt die Anweisung gegeben, die Lufthansa nicht weiter zu belasten, erklärte er. Jetzt wissen wir auch, warum das neue Fluglärmgesetz ganz tief in der Schublade verschwunden ist.<br /> <br /> In der dritten Juniwoche wird der Schweizer Nationalrat sich nun mit dem Staatsvertrag befassen - der deutsch-schweizerische Fluglärmpoker bleibt spannend. Besonders, wenn die Schweizer sich tatsächlich trauen sollten, sich mit Bodewig & Co anzulegen. <br /> <br /> Zum Trost für alle Bewohner und Bewohnerinnen der Rhein-Main-Region, die über eine Lärmschutz-Regelung wie den ach so schlechten Staatsvertrag sehr glücklich wären, sei der CDU-Abgeordnete Dörflinger zitiert, der betonte, auch nach einem Wahlsieg von Stoiber würde keinen Schritt von der entschlossenen Haltung für den Fluglärm-Schutz abgewichen. "Tatsache ist, wenn Stoiber Kanzler wird, dann wird alles besser - aber nur in Deutschland, nicht in der Schweiz". <br /> <br /> Da sind wir aber gespannt. Im Falle des Falles kann man die "entschlossenen Lärmschutz-Patrioten" ja mal an ihre Worte erinnern ...
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Einschränkungen für den Luftverkehr Fluglärmgesetz Luftverkehr Fluglärm Nachtflugverbot Politik und Behörden
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