VGH Urteil gegen Offenbach: ein Spiel wurde verloren - der Kampf geht weiter
Doch die Bürger dürfen sich nicht nur auf die Gerichte verlassen
Von: @-&lt;[ @ufgeflogen ]&gt;- <2003-04-14>
Nein, ein guter Tag für Offenbach war das wirklich nicht. Und auch kein guter Tag für die Ausbaugegner und Fluglärmopfer in der Rhein-Main-Region. Am 2. April hat der 2. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Kassel die Klagen der Stadt Offenbach gegen den Nachtflugbetrieb am Frankfurter Flughafen abgewiesen und wieder mal keine Revision zugelassen.

Offenbach hatte in mehreren Klagen geltend gemacht, der Flughafen verfüge für den jetzigen Flugbetrieb nicht mehr über eine gültige Betriebsgenehmigung, besonders nicht für die aktuelle Zahl der Nachtflüge. Für die zahlreichen Erweiterungen am Flughafen mit entsprechender Erhöhung der Kapazität seit dem Planfeststellungsbeschluss von 1971 wäre die Anhörung der Öffentlichkeit in weiteren Planfeststellungsverfahren erforderlich gewesen (Grandke: "Der Flughafen ist Deutschlands größter Schwarzbau"). Außerdem wollte Offenbach schärfere Grenzwerte gegen den Nachtfluglärm für besonders lärmsensible städtische Grundstücke, z.B. Krankenhäuser, durchsetzen. Doch die Richter lehnten alle vier Klagen ab. Nur in der eher nebensächlichen Frage der neuen Schnellabrollwege wurde ein Vergleich geschlossen: nach dem Probebetrieb müssen sie planfestgestellt werden.

OB Grandke und sein Anwalt Geulen zeigten sich enttäuscht, aber nicht entmutigt. Sie wollen gleich beim Bundesverwaltungsgericht weiter machen, falls dieses die Revision zulässt. Nach der Entscheidung zum Regionalplan Südhessen ist man da optimistisch. Auch Anwälte anderer Städte, die noch ähnliche Klagen laufen haben, hängten die Kasseler Entscheidung eher niedrig.

Doch bei allem Zweckoptimismus, der von Offenbach und anderen Kommunen an den Tag gelegt wird: das Urteil ist eine Schlappe. Die noch anstehenden Klagen anderer Gemeinden zum selben Thema werden wahrscheinlich auch nicht viel besser ausgehen. Auch denen, die Grandke und Geulen wegen ihrer Sankt-Florians-Politik nicht besonders schätzen und die kein Wort des Bedauerns über das Urteil gefunden haben, sei von eventueller Schadenfreude abgeraten. Die einzigen, die sich freuen dürfen, sind Fraport und die Landesregierung!

Wie auch der Offenbacher EInzelfall gelagert sein mag, die Richter haben sich zu zwei grundsätzlichen Fragen geäußert. Zum einen haben sie geurteilt, dass am Frankfurter Flughafen nur solche Ausbaumaßnahmen planfestgestellt werden müssen, die die "technische Gesamtkapazität" des Flughafens erhöhen - und die hängt für das Gericht nur von den vorhandenen Start- und Landebahnen ab. Die gesteigerte Ausnutzung der vorhandenen Bahnkapazität sei nicht genehmigungsbedürftig. Im Klartext: ist die Bahn erst einmal genehmigt, darf Fraport sie beliebig nutzen. Wenn sich durch bessere technische Verfahren die Kapazität verdoppeln lässt, dann darf sie laut Meinung des Gerichts auch genutzt werden. Und so freute sich ein ausbaufreundlicher Kommentator in der Presse: endlich hätten die Richter mal erklärt, dass es einem Unternehmen nicht verboten werden kann, seinen Umsatz zu steigern.

Zum zweiten, und das ist noch viel bedenklicher, haben die Richter befunden, dass die Bevölkerung um den Flughafen zur Zeit "keiner gesundheitsgefährdenden Fluglärmbelastung" ausgesetzt ist. Mit der Festsetzung des Nachtschutzgebietes, in dem die Betroffenen Anspruch auf bauliche Schallschutzmaßnahmen haben, hätte das Ministerium seine Pflicht erfüllt, die Bürger vor gesundheitsschädlichem Lärm zu schützen - auch nach dem derzeitigen Stand der Lärmwirkungsforschung. Erst wenn auch mit Schallschutzmaßnahmen die Gesundheitsgefährdung nicht vermieden werden könnte, könne das Gericht eine Reduzierung der Nachtflüge anordnen.

Hier stellt sich die Frage, wann sich die Richter das letzte Mal über den aktuellen Stand der Lärmwirkungsforschung informiert haben. Dem Nachtschutzgebiet liegt nämlich das mittlerweile überholte, ja sogar sachlich widerlegte Jansen-Kriterium (6 x 75 db(A) außen) , und ein Dauerschallpegel von 55 db(A)) zugrunde. Bei der "Mediation" wurde ein Grenzwert zwischen 6 und 11 mal 67 db(A) pro Nacht und ein Dauerschallpegel bis 47 db(A) gefordert. Das Umweltbundesamt empfiehlt Schallschutzmaßnahmen bereits ab einem nächtlichen Dauerschallpegel von 45 db(A) und schließt Gesundheitsbeeinträchtigungen bereits ab 50 db(A) nicht aus. Diese Werte wurden von der Mehrheit der führenden deutschen Lärmwirkungsforscher 2001 in der "Resolution von Neufahrn" bestätigt.

Das Festhalten der Richter an überholten Grenzwerten lässt für Fluglärmopfer nichts Gutes erwarten. Der renommierte Lärmwirkungsforscher Masche hat sie offenbar nicht von neueren Forschungsergebnissen überzeugen können - wie es ihm bei den Richtern des Verwaltungsgericht in Hamburg gelungen ist.

Und die Richter haben deutlich gemacht, dass für sie das Recht auf Nachtflüge wichtiger ist als das Recht der Bürger auf Nachtruhe. Erst wenn nicht einmal mehr das Einsperren der Bevölkerung in Schallschutzkäfige genügt, um die Grenzwerte einzuhalten, wollen sie Einschränkungen der Nachtflüge in Betracht ziehen. Man unterstützt hier voll die Linie von Ex-Verkehrsminister Posch, der die wirtschaftlichen Ansprüche des Flughafenbetreibers und der Nutzer stets höher eingeschätzt hat als das Recht der Anwohner auf Ruhe. Wie werden diese Richter wohl entscheiden, wenn ein Luftverkehrsunternehmen gegen ein eventuell verhängtes Nachtflugverbot klagt?

Das Urteil zeigt deutlich, wie riskant es ist, beim Widerstand gegen den Flughafenausbau nur auf die Gerichte zu vertrauen. Davon, wie der 2. Senat des Verwaltungsgerichts Kassel bei der Abwägung wirtschaftlicher Interessen gegen Belange des Umweltschutzes vorgehen wird, hat man jetzt eine Ahnung bekommen. Gerhard Grandke hat es zutreffend formuliert: "Bereits während der mündlichen Verhandlung in der vergangenen Woche konnten sich unsere Vertreter des Eindrucks nicht erwehren, dass der VGH sich scheuen werde, eine Entscheidung zu treffen, die den Flughafenbetreiber und die hessische Landesregierung in arge Schwierigkeiten bringen würde".

Sicher, Kassel ist nicht das Ende der Welt. Klagen gegen Ausbau und Nachtflugverbot werden bestimmt bis zum Bundesverwaltungsgericht gehen, und dann gibt es auch noch den europäischen Gerichtshof und eventuelle Richtlinien von der EU, die helfen könnten. Doch wie die Verfahren dort ausgehen werden, ist und bleibt unsicher. Selbst für Ausbaubefürworter sollte klar sein: in einen eventuellen Planfeststellungsbeschluss gehören Obergrenzen für Flugbwegungen und Lärm - knallharte Zahlen, die nicht überschritten werden dürfen. Sonst würde die befürchtete eine Million Flugbewegungen 2015 Realität, und weder Bürger noch Gerichte könnten etwas dagegen tun.

Allen, die den Ausbau verhindern wollen, sei geraten, sich nicht nur auf den juristischen Widerstand zu verlassen. Trotz des Wahlausgangs ist es unerläßlich, weiter auf die Politiker einzuwirken - sie reagieren auf die Stimmung in der Bevölkerung, und mit genügend Druck sind sie zu beeinflussen. Und die Bürger dürfen sich nicht nur auf ihre Gemeinde verlassen, sondern müssen ihren Widerstand gegen die Ausbaupläne energisch selbst vertreten. Durch politischen Protest, Einwendungen im Planfeststellungsverfahren und entsprechende Klagen. Nur so kann man auch Richter beeindrucken.
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Juristische Auseinandersetzung Gerichtsurteile Klage (vor Gericht) Flughafen-Ausbau FRA Lärm-Grenzwerte Offenbach am Main Nachtflüge Rechtsstreit bez. Flughafen FRA Hessischer Verwaltungsgerichtshof (VGH)

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