Das Heathrow Urteil: ein Sieg für die Luftverkehrslobby
Doch in Frankfurt darf sie sich nicht freuen
<2003-07-15>
Da hat der Europäische Gerichtshof ein so schönes Urteil gesprochen. Die Nachtflüge in London dürfen bleiben. Vielleicht dürfen sie demnächst sogar noch ausgeweitet werden. Von Heathrow wird kein Signal an andere Grossflughäfen ausgehen, ein Nachtflugverbot zu schaffen. Und das alles, weil das Gericht der Argumentation der britischen Regierung folgte, die 16(!) Nachtflüge seien so wichtig für die britische Wirtschaft und damit das Wohl des Landes, das das Recht der Anwohner auf ungestörtes Privatleben und ruhigen Schlaf eingeschränkt werden kann.
Diese Botschaft ist doch nun wirklich ein Grund zur Freude für Flughafenbetreiber, Fluggesellschaften und Luftverkehrs-Lobbyisten. Und die Politiker, die sie bereitwillig unterstützen. Wahrscheinlich haben da so einige Sektkorken geknallt. Nur im Rhein-Main-Gebiet, da dürfen sie sich nicht so richtig freuen. Zumindest nicht öffentlich. Denn sie wollen alle den Flughafenausbau, und als Preis dafür hat man den Menschen ein "Nachtflugverbot" versprochen. Da wäre es jetzt ziemlich ungünstig, wenn die Leute auf den Gedanken kämen, nächtliche Flugbeschränkungen hätten vor den Gerichten sowieso keine Chance.
Und so müssen sie sich alle herausreden. Als erstes profilierte sich Fraport-Vorstandsvorsitzender Bender als Wohltäter der Region: trotz des Urteils wolle man weiter an einen Nachtflugverbot zwischen 23 und 5 Uhr nach Inbetriebnahme der neuen Bahn festhalten. "Es gilt weiterhin: Kein Ausbau ohne Nachtflugverbot, aber eben auch kein Nachtflugverbot ohne Ausbau", so Bender.
Auch die Landesregierung meldete sich schnell zu Wort. Ein Sprecher des Ministeriums ließ verlauten, das Urteil habe keinen Einfluss auf die Entwicklung (=Ausbau) des Frankfurter Flughafens. Schließlich habe das Gericht damals bei der Ablehnung der Nachtflüge nicht die Flüge selbst bemängelt, sondern nur die mangelnde Abwägung. Und die sei in Hessen "integraler Bestandteil des Genehmigungsverfahrens". "Kein Ausbau ohne Nachtflugverbot", ergänzte er zum wiederholten Male. Die tiefere Logik dieser Argumentation in Bezug auf Nachtflugbeschränkungen am Frankfurter Flughafen bleibt allerdings verborgen.
Wie nicht anders zu erwarten, hat auch der RDF-Vorsitzende Wörner, Hüter des "Mediationspakets", gleich die Bühne betreten. Wörner hält die Übertragung des Urteils auf deutsche Verhältnisse aus den gleichen Gründen wie die Landesregierung für unzulässig. Er sehe allerdings die Gefahr, dass Ausbaugegner aus der Entscheidung den Schluss zögen, auf die Gerichte sei beim Nachtflugverbot kein Verlass. Ausbaubefürworter dagegen könnten schließen, nächtlicher Fluglärm lasse sich nicht verbieten. Beides sei falsch. Die Gefahr hat Wörner schon klar erkannt. Was richtig ist, wenn die Schlüsse falsch sind, sagt er leider nicht. Aber dafür haben wir ja das RDF - die wissen und machen das schon, oder?
Tatsächlich ist das Heathrow-Urteil nicht einfach auf Deutschland übertragbar. Von der hessischen Landesregierung haben wir wohl keine Klage gegen das "Nachtflugverbot" zu befürchten. Erst einmal. Doch wie lange die Versprechen des Herrn Koch Bestand haben, steht in den Sternen. Wenn die Politiker in einigen Jahren mal wieder in einer wirtschaftlichen Krise vom Reformwahn befallen werden, könnte der "Standortnachteil" durch die Nachtflugbeschränkung ganz schnell ihre Zielscheibe werden. Wie man in Nordrhein-Westfalen sieht, wo die Landesregierung gerade versucht, den Angerland-Vergleich am Düsseldorfer Flughafen zu kippen, obwohl das Gericht ihn jüngst im Kern bestätigt hat. Nur EU-weite Beschränkungen könnten die Gefahr für solche Schutzregelungen durch die Politik entschärfen.
Unmittelbare Gefahr für das "Frankfurter Nachtflugverbot" droht von ganz anderen Akteuren. Die haben sich bisher nicht zum Urteil geäußert. Die Lufthansa zum Beispiel, oder die Post. Aber die wird man vielleicht von der Klage abhalten können, sie haben Ausweichmöglichkeiten. Das ist alles nur eine Frage der Kosten bzw. der Entschädigung.
Das dürfte mit der Regierung der USA nicht so einfach gehen. Die Amerikaner haben nämlich jüngst (laut FAZ, 9.7.03) im Vorfeld der geplanten Verhandlungen mit der EU über ein neues transatlantisches Luftverkehrsabkommen eine Lockerung der europäischen Nachtflugbeschränkungen gefordert. Die behindern nach Ansicht der Amerikaner nämlich den "freien Handel", in diesem Fall das Geschäft von Paketversendern wie UPS oder Fedex. Aus anderen Streitigkeiten zwischen EU und USA über solche Fragen ist bekannt, dass eine solche Drohung durchaus ernst zu nehmen ist.
Auch die Kämpfer für ein Nachtflugverbot tun sich nicht leicht mit Kommentaren zu dem Urteil. Wie auf der Gegenseite äußert man die Einschätzung, das Urteil habe für hiesige Verhältnisse keine Bedeutung. Die Abwägung würde hier anders ausfallen, meinen die einen. Man würde in London weiter kämpfen, beruhigen andere. Mutige Lokalpolitiker leiten aus dem Urteil sogar Beteiligungsrechte bei der Festlegung von Flugrouten ab. Alles nicht so schlimm. Politik, auch hier, wie nach den Wahlen. Alle haben gewonnen, nur die fluglärmgeplagten Bürger nicht.
Die Fluglärmgegner in London sehen das nicht ganz so gelassen. Sie sind tief enttäuscht, und sie haben allen Grund dazu. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätten einen bahnbrechenden Fortschritt erreicht - einen Präzedenzfall, in dem die Rechte Menschen und die Umwelt höher bewertet worden wären als wirtschaftliche Interessen. Diesmal waren die wirtschaftlichen Interessen stärker. Deshalb muss weiter für das Recht auf Nachtruhe gekämpft werden, in London und auch hier.
Diese Botschaft ist doch nun wirklich ein Grund zur Freude für Flughafenbetreiber, Fluggesellschaften und Luftverkehrs-Lobbyisten. Und die Politiker, die sie bereitwillig unterstützen. Wahrscheinlich haben da so einige Sektkorken geknallt. Nur im Rhein-Main-Gebiet, da dürfen sie sich nicht so richtig freuen. Zumindest nicht öffentlich. Denn sie wollen alle den Flughafenausbau, und als Preis dafür hat man den Menschen ein "Nachtflugverbot" versprochen. Da wäre es jetzt ziemlich ungünstig, wenn die Leute auf den Gedanken kämen, nächtliche Flugbeschränkungen hätten vor den Gerichten sowieso keine Chance.
Und so müssen sie sich alle herausreden. Als erstes profilierte sich Fraport-Vorstandsvorsitzender Bender als Wohltäter der Region: trotz des Urteils wolle man weiter an einen Nachtflugverbot zwischen 23 und 5 Uhr nach Inbetriebnahme der neuen Bahn festhalten. "Es gilt weiterhin: Kein Ausbau ohne Nachtflugverbot, aber eben auch kein Nachtflugverbot ohne Ausbau", so Bender.
Auch die Landesregierung meldete sich schnell zu Wort. Ein Sprecher des Ministeriums ließ verlauten, das Urteil habe keinen Einfluss auf die Entwicklung (=Ausbau) des Frankfurter Flughafens. Schließlich habe das Gericht damals bei der Ablehnung der Nachtflüge nicht die Flüge selbst bemängelt, sondern nur die mangelnde Abwägung. Und die sei in Hessen "integraler Bestandteil des Genehmigungsverfahrens". "Kein Ausbau ohne Nachtflugverbot", ergänzte er zum wiederholten Male. Die tiefere Logik dieser Argumentation in Bezug auf Nachtflugbeschränkungen am Frankfurter Flughafen bleibt allerdings verborgen.
Wie nicht anders zu erwarten, hat auch der RDF-Vorsitzende Wörner, Hüter des "Mediationspakets", gleich die Bühne betreten. Wörner hält die Übertragung des Urteils auf deutsche Verhältnisse aus den gleichen Gründen wie die Landesregierung für unzulässig. Er sehe allerdings die Gefahr, dass Ausbaugegner aus der Entscheidung den Schluss zögen, auf die Gerichte sei beim Nachtflugverbot kein Verlass. Ausbaubefürworter dagegen könnten schließen, nächtlicher Fluglärm lasse sich nicht verbieten. Beides sei falsch. Die Gefahr hat Wörner schon klar erkannt. Was richtig ist, wenn die Schlüsse falsch sind, sagt er leider nicht. Aber dafür haben wir ja das RDF - die wissen und machen das schon, oder?
Tatsächlich ist das Heathrow-Urteil nicht einfach auf Deutschland übertragbar. Von der hessischen Landesregierung haben wir wohl keine Klage gegen das "Nachtflugverbot" zu befürchten. Erst einmal. Doch wie lange die Versprechen des Herrn Koch Bestand haben, steht in den Sternen. Wenn die Politiker in einigen Jahren mal wieder in einer wirtschaftlichen Krise vom Reformwahn befallen werden, könnte der "Standortnachteil" durch die Nachtflugbeschränkung ganz schnell ihre Zielscheibe werden. Wie man in Nordrhein-Westfalen sieht, wo die Landesregierung gerade versucht, den Angerland-Vergleich am Düsseldorfer Flughafen zu kippen, obwohl das Gericht ihn jüngst im Kern bestätigt hat. Nur EU-weite Beschränkungen könnten die Gefahr für solche Schutzregelungen durch die Politik entschärfen.
Unmittelbare Gefahr für das "Frankfurter Nachtflugverbot" droht von ganz anderen Akteuren. Die haben sich bisher nicht zum Urteil geäußert. Die Lufthansa zum Beispiel, oder die Post. Aber die wird man vielleicht von der Klage abhalten können, sie haben Ausweichmöglichkeiten. Das ist alles nur eine Frage der Kosten bzw. der Entschädigung.
Das dürfte mit der Regierung der USA nicht so einfach gehen. Die Amerikaner haben nämlich jüngst (laut FAZ, 9.7.03) im Vorfeld der geplanten Verhandlungen mit der EU über ein neues transatlantisches Luftverkehrsabkommen eine Lockerung der europäischen Nachtflugbeschränkungen gefordert. Die behindern nach Ansicht der Amerikaner nämlich den "freien Handel", in diesem Fall das Geschäft von Paketversendern wie UPS oder Fedex. Aus anderen Streitigkeiten zwischen EU und USA über solche Fragen ist bekannt, dass eine solche Drohung durchaus ernst zu nehmen ist.
Auch die Kämpfer für ein Nachtflugverbot tun sich nicht leicht mit Kommentaren zu dem Urteil. Wie auf der Gegenseite äußert man die Einschätzung, das Urteil habe für hiesige Verhältnisse keine Bedeutung. Die Abwägung würde hier anders ausfallen, meinen die einen. Man würde in London weiter kämpfen, beruhigen andere. Mutige Lokalpolitiker leiten aus dem Urteil sogar Beteiligungsrechte bei der Festlegung von Flugrouten ab. Alles nicht so schlimm. Politik, auch hier, wie nach den Wahlen. Alle haben gewonnen, nur die fluglärmgeplagten Bürger nicht.
Die Fluglärmgegner in London sehen das nicht ganz so gelassen. Sie sind tief enttäuscht, und sie haben allen Grund dazu. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätten einen bahnbrechenden Fortschritt erreicht - einen Präzedenzfall, in dem die Rechte Menschen und die Umwelt höher bewertet worden wären als wirtschaftliche Interessen. Diesmal waren die wirtschaftlichen Interessen stärker. Deshalb muss weiter für das Recht auf Nachtruhe gekämpft werden, in London und auch hier.
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Nachtflug-Beschränkungen Gerichtsurteile Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Juristische Auseinandersetzung Europäische Union Klage (vor Gericht) Nachtflugverbot
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