Die Schlacht ist geschlagen, genauer: verloren.
Auch wenn es nicht einmal in der Tagesschau erwähnt wurde: der Bundestag hat gestern das neue Gesetz zum Schutz des Fluglärms (offizieller Name: "Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen") beschlossen, es wird bald in Kraft treten. Die letzten Änderungen am Regierungsentwurf aus dem Antrag von CDU- und SPD-Fraktion brachten noch minimale Verbesserungen des Regierungsentwurfs, aber nichts wesentlich neues. Damit können die Fluglärmbetroffenen die Hoffnung auf eine entscheidende Verbesserung ihrer Situation auf längere Zeit begraben. "Jetzt fehlt nur noch der Bundesrat,dann ham mer den Salat!", textete ein Ausbaugegner auf seiner Webseite.
Die Regierungskoalition spricht zwar von einem Erfolg. Aber der dürfte vor allem darin bestehen, dass man nach den jahrelangen Querelen überhaupt geschafft hat, ein Gesetz zu verabschieden. Die sonst üblichen großen Sprüche, wie toll doch das neue Gesetz für die Bürger sei, fehlen in den offiziellen Verlautbarungen.
Und das hat seinen Grund. Die Vorteile für die Betroffenen muss man mit der Lupe suchen. In der Öffentlichkeit wird gern die starke Senkung der Grenzwerte hervorgehoben. Die wurden tatsächlich gesenkt. Aber auch genug? Der neue Tag-Grenzwert für bestehende Flughäfen wird mit der beschlossenen Berechnungsmethode gerade einmal an zwei (!) Messstellen in Deutschland überschritten. Im Rhein-Main-Gebiet wird er nirgendwo auch nur annähernd erreicht. Mit den strengeren Werten bei Flughafenausbau könnte es dann für Raunheim und Offenbach gerade reichen - Schallschutzfenster gibt es dann 2017. Nachts sieht es etwas besser aus, aber auch hier haben die großen Flughäfen längst freiwillig mehr getan als im Gesetz verlangt wird. Am mit Nachtflügen hoch belasteten Flughafen Köln-Bonn wird niemand zusätzlich Schallschutz erhalten.
Flughafen Frankurt - Viele Belästigte, wenig Schutz...
Für den Normalbürger ist es gar nicht nötig, sich in die Analyse von Grenzwerten und Berechnungsmethoden zu vertiefen, um die Qualität des Gesetzes zu beurteilen. Er kann einfach fragen: schützt es mich? Im Rhein-Main-Gebiet fühlen sich nach der neuesten Belästigungsstudie 60% der Befragten vom Fluglärm belästigt, davon fast die Hälfte stark oder sehr stark. Was nützt ein Gesetz, nach dem trotzdem an keiner Stelle dieser Region der Tag-Grenzwert überschritten ist? Was taugt ein Gesetz, nach dem ein Bewohner einer nur bei Ostwind, dann aber heftig, überflogenen Gemeinde in Nächten mit Flugbetrieb mehr als 19(!) zu laute Überflüge ertragen müsste, bevor der Anspruch auf Schallschutz greift - obwohl eigentlich nur 6 davon pro Nacht als vertretbar erachtet werden? Die Werte für neue und ausgebaute Flughäfen sind zwar etwas besser. Aber der Preis - nämlich der menschenfeindliche Ausbau - ist dafür zu hoch!
Es gab zwar auch bisher keine brauchbaren Grenzwerte und damit keine Rechtssicherheit für die Betroffenen. Diese konnten aber gerade deshalb darauf hoffen, dass eine verständige Planfeststellungsbehörde oder ein verständnisvoller Richter ihnen für ihre spezielle Situation zu brauchbaren Schutzmaßnahmen verhelfen konnte. Das ist jetzt vorbei. Es ist den Behörden zwar nicht ausdrücklich verwehrt, bessere Regelungen als die im Gesetz zu verordnen. Doch die Flughäfen werden sich mit Erfolg auf die Werte des Gesetzes berufen, die angeblich "den Stand der Lärmwirkungsforschung" repräsentieren - und für die nächsten 10 Jahre wohl so bleiben werden. Erst dann soll das Gesetz wieder überprüft werden.
Die Flughafenbetreiber dagegen freuen sich über das neue Gesetz. Sie bekommen die lange geforderte Sicherheit darüber, was die Schallschutzmaßnahmen bei Ausbauplänen sie kosten werden - wenig. Die pessimistischste, wahrscheinlich stark überhöhte Schätzung geht von 600 Millionen Euro über 10 Jahre aus. Das ist weniger, als Fraport nur dafür ausgeben wird, das Chemiewerk Ticona aus dem Weg ihrer neuen Landebahn zu räumen.
Wer ist schuld am schlechten Gesetz?
Wer ist schuld an dem Schlamassel, fragt man sich? Nun, in erster Linie die Luftverkehrslobby. Kaum eine Branche ist so intim mit der Politik verbandelt wie die Luftverkehrsindustrie. Die "Initiative Luftverkehr" schreibt die Vorlage für den "Masterplan Luftverkehr" der Bundesregierung. Mitarbeiter von Fraport und anderer Luftverkehrsunternehmen arbeiten in den Ministerien an den Gesetzentwürfen mit. Sie alle vermitteln der Politik erfolgreich die Idee, dass in Deutschland die Lichter ausgehen, wenn man ihnen irgend einen Wunsch verwehrt oder gar ein Härchen krümmt. Nichts, aber auch gar nichts, scheint gegen den Willen dieser Lobby beschlossen werden zu können. Deshalb ist die Regierung offensichtlich stolz darauf, überhaupt ein Gesetz zustande gebracht zu haben.
Dazu kommt, dass das Thema Fluglärm fachlich eine höchst komplexe Materie ist, die nur wenige Experten verstehen. Details der Fluglärmberechnung oder eines lärmmedizinischen Gutachtens werden den allermeisten Politikern immer ein Rätsel bleiben. Und so braucht nur ein "Experte" der Luftfahrtindustrie "unrealistisch" oder "zu teuer" zu sagen, und eine Regelung ist vom Tisch.
Auch die Lärmwirkungsforscher, die ebenfalls Input geben, sind in diesem Zusammenhang eher ein Teil des Problems als der Lösung. Entweder arbeiten sie für die Flughäfen (die Ergebnisse hat man beim Erörterungstermin beim Planfeststellungsverfahren zum Ausbau des Frankfurter Flughafens mit gesträubten Nackenhaaren verfolgen können), oder sie sind mehr reine Wissenschaftler im Elfenbeinturm als Anwälte der Betroffenen. Jedenfalls plädiert keiner von ihnen darauf, einfach aus Vorsorgegesichtspunkten die Grenzwerte niedrig anzusetzen, auch wenn der letzte wissenschaftliche Beweis für die Schadwirkung des Fluglärms bei diesem Pegel noch nicht erbracht ist. Der Preis für die Vorsorge wären 2 oder vielleicht auch 5 Euro pro Flugticket - Peanuts. Ein Trost: wenn die Aussage stimmt, dass man in Zukunft bei Ausbauvorhaben keine lärmmedizinischen Gutachten mehr braucht, werden einige Lärmwirkungsforscher wieder unabhängiger arbeiten können (wenn sie noch Geld finden...).
Ausbau zum Sonderpreis für Fraport
Für die Ausbaugegner in Frankfurt ist dieses Fluglärmgesetz eine mittlere Katastrophe. Fraport bekommt den Ausbau zum Sonderpreis. Die von Fraport selbst vorgeschlagenen Grenzwerte sind kaum schlechter als die in der "Lex Fraport" genannten Übergangsregelung des Gesetzes für Ausbauvorhaben. Den Rest macht das Berechnungsverfahren, das für viele vom Ausbau Betroffene den Schallschutz einfach wegmittelt. Dass das Wirtschaftsministerium als Planfeststellungsbehörde bessere Lärmschutzmaßnahmen als im Gesetz verlangt festlegt, ist nicht zu erwarten. Klagen dagegen dürften wenig Chancen haben.
Dumm gelaufen. Doch um dieses Gesetz zu verhindern, hätten sich die Betroffenen (ja genau - wir alle!) viel mehr engagieren müssen. Eine Demo mit 200 Leuten, die Übergabe einer lammfrommen Resolution reicht angesichts der mächtigen Lobby nicht. Bis heute haben gerade mal 6555 Menschen die Petition für ein besseres Fluglärmgesetz unterschrieben. Und das sind bei weitem nicht genug.