Neues Fluglärmgesetz endgültig gescheitert?
Verkehrsminister Bodewigs erfolgreiche Blockadepolitik
<2002-01-20>
Umweltminister Trittin ist mit seiner Novelle zum Fluglärmgesetz endgültig gescheitert. Das ist zwar nicht offiziell, und es würde auch keiner in der Bundesregierung laut sagen. Doch die TAZ hat aus gut unterrichteten Kreisen im Bundesumweltministerium erfahren, dass man dort das Gesetz aufgegeben hat: "In dieser Legislaturperiode ist das nicht mehr durch Bundestag und Bundesrat zu bringen." Der Blockade-Faktor: Die Luftverkehrswirtschaft und Verkehrsminister Bodewig.
Schon vor zwei Jahren hatte der grüne Umweltminister Trittin ein "Eckpunktepapier" vorgelegt, dessen Bestimmungen den Anwohnern von Flughäfen deutlich mehr Rechte auf Schallschutzmassnahmen und Nachtruhe gegeben hätten. Zumindest bei Neu- und Ausbau von Flughäfen hätten die vorgeschlagenen Lärmgrenzwerte sogar einigermassen den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen der Lärmwirkungsforschung entsprochen. Ansonsten war der Entwurf jedoch moderat - Beschränkungen, wie ein Nachtflugverbot, waren nicht einmal enthalten. Einige Euro Aufschlag auf die Flugpreise hätten genügt, um die Schallschutzmaßnahmen zu finanzieren.
Doch dies war der Luftverkehrsindustrie und Verkehrsminister Bodewig viel zu weitgehend - beide lehnten den Entwurf kategorisch ab. Mehrfach kam Trittin daraufhin Bodewig entgegen, im Spätsommer wurde sogar zwischen den Ministerien ein Kompromiss auf Staatssekretärsebene ausgehandelt, der auf einem Kompromissvorschlag der SPD-Fraktion beruhte. Doch dann lehnte Bodewig selbst diesen zahnlosen, verwässerten Entwurf ab.
Das Kanzleramt sollte danach den Konflikt schlichten, Termin: der 19. September. Der 11. September kam dazwischen. Und seitdem fand Kanzleramtschef Steinmeier keine Zeit mehr für so triviale Probleme wie den hiesigen Fluglärm. Jetzt ist es langsam zu spät, das Projekt noch anzufangen. Die Politiker schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Die SPD meint entschuldigend, der Afghanistan-Konflikt sei dazwischen gekommen. Der grüne Umweltpolitiker Winfried Hermann dagegen schimpft: "Der Verkehrsminister hat sich zum Lobbyisten der Flughäfen aufgespielt". Hermann befürwortet weiterhin den ursprünglichen Trittin-Entwurf.
Doch die Schuldfrage kann schnell geklärt werden, wenn man sich einmal die Ansichten von Minister Bodewig zu Gemüte führt. In einem Interview mit dem "Lufthansa Dialog", 12/2001, machte Bodewig folgende Aussagen, wir zitieren:
"Ein funktionierendes Luftverkehrssystem ist für ein hochentwickeltes Exportland von grosser Bedeutung. Da 30 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts exportbezogen sind, ist ein ausreichendes Luftverkehrsangebot gerade unter dem Gesichtspunkt der Globalisierung unabdingbare Voraussetzung für eine leistungsfähige Wirtschaft. Schnelle sowie zeitsparende Weitertransporte sowie zeitsparende Geschäftsreisen sichern die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ... Die Bundesregierung sieht es daher unter den Rahmenbedingungen eines umwelt- und anwohnerschonenden Betriebs der deutschen Flughäfen als unerlässlich an, das multifunktionale Flughafensystem zu stärken sowie die Leistungsfähigkeit der Verkehrsflughäfen zu erhalten und sie durch Beseitigung von Engpässen am Boden und in der Luft zu erhöhen ...Flughäfen sind in einem hochmodernen Wirtschaftssystem wichtige Schnittstellen: Sie dürfen nicht zu einem limitierenden Faktor für die Entwicklung des Luftverkehrssystem werden. Eine Luftverkehrsinfrastruktur, die mit dem Luftverkehrswachstum nicht Schritt hält, stellt eine Gefahr für den deutschen Luftverkehrsstandort, für das inländische Wertschöpfungspotential und die Schaffung von Arbeitsplätzen dar. Der Ausbau von Hubs ist daher unumgänglich ...". Es folgt eine Aussage für den Ausbau des Frankfurter Flughafens.
Aus Bodewigs Aussagen wird klar, dass bei so wichtigen Zielen nicht ein paar lärmbelastete Bürger im Wege stehen dürfen. Auf die Frage des "Lufthansa Dialogs", wie denn sichergestellt werden könne, dass die Städte nicht immer näher an die Flughäfen heranrücken (was nach Ansicht der Lufthansa nur durch ihre Investition in leisere Flugzeuge möglich wird) und so die Luftverkehrsgesellschaften um die Früchte ihrer Investitionen bringen, antwortete Bodewig: "Das BMVBW fordert, ... dass zum Schutz der Anwohner vor Fluglärm in Gebieten von Siedlungserweiterungen bzw. neuen Siedlungsflächen ein ausreichend großer Abstand zu Flugplätzen vorzusehen ist, durch den eine Beeinträchtigung der Bewohner vermieden wird".
Damit wird mehr als deutlich, dass Bodewig auch weiterhin den Fluglärm vor den Menschen schützen will und nicht umgekehrt. Und so wird es wahrscheinlich in dieser Legislaturperiode tatsächlich kein neues Fluglärmgesetz mehr geben. Aber vielleicht ist ja kein neues Gesetz besser als ein fauler Kompromiss, der die unerfreuliche Situation für die lärmgeplagten Bürger nur für weitere Jahre zementiert.
Quelle: TAZ vom 19.1.02
Schon vor zwei Jahren hatte der grüne Umweltminister Trittin ein "Eckpunktepapier" vorgelegt, dessen Bestimmungen den Anwohnern von Flughäfen deutlich mehr Rechte auf Schallschutzmassnahmen und Nachtruhe gegeben hätten. Zumindest bei Neu- und Ausbau von Flughäfen hätten die vorgeschlagenen Lärmgrenzwerte sogar einigermassen den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen der Lärmwirkungsforschung entsprochen. Ansonsten war der Entwurf jedoch moderat - Beschränkungen, wie ein Nachtflugverbot, waren nicht einmal enthalten. Einige Euro Aufschlag auf die Flugpreise hätten genügt, um die Schallschutzmaßnahmen zu finanzieren.
Doch dies war der Luftverkehrsindustrie und Verkehrsminister Bodewig viel zu weitgehend - beide lehnten den Entwurf kategorisch ab. Mehrfach kam Trittin daraufhin Bodewig entgegen, im Spätsommer wurde sogar zwischen den Ministerien ein Kompromiss auf Staatssekretärsebene ausgehandelt, der auf einem Kompromissvorschlag der SPD-Fraktion beruhte. Doch dann lehnte Bodewig selbst diesen zahnlosen, verwässerten Entwurf ab.
Das Kanzleramt sollte danach den Konflikt schlichten, Termin: der 19. September. Der 11. September kam dazwischen. Und seitdem fand Kanzleramtschef Steinmeier keine Zeit mehr für so triviale Probleme wie den hiesigen Fluglärm. Jetzt ist es langsam zu spät, das Projekt noch anzufangen. Die Politiker schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Die SPD meint entschuldigend, der Afghanistan-Konflikt sei dazwischen gekommen. Der grüne Umweltpolitiker Winfried Hermann dagegen schimpft: "Der Verkehrsminister hat sich zum Lobbyisten der Flughäfen aufgespielt". Hermann befürwortet weiterhin den ursprünglichen Trittin-Entwurf.
Doch die Schuldfrage kann schnell geklärt werden, wenn man sich einmal die Ansichten von Minister Bodewig zu Gemüte führt. In einem Interview mit dem "Lufthansa Dialog", 12/2001, machte Bodewig folgende Aussagen, wir zitieren:
"Ein funktionierendes Luftverkehrssystem ist für ein hochentwickeltes Exportland von grosser Bedeutung. Da 30 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts exportbezogen sind, ist ein ausreichendes Luftverkehrsangebot gerade unter dem Gesichtspunkt der Globalisierung unabdingbare Voraussetzung für eine leistungsfähige Wirtschaft. Schnelle sowie zeitsparende Weitertransporte sowie zeitsparende Geschäftsreisen sichern die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ... Die Bundesregierung sieht es daher unter den Rahmenbedingungen eines umwelt- und anwohnerschonenden Betriebs der deutschen Flughäfen als unerlässlich an, das multifunktionale Flughafensystem zu stärken sowie die Leistungsfähigkeit der Verkehrsflughäfen zu erhalten und sie durch Beseitigung von Engpässen am Boden und in der Luft zu erhöhen ...Flughäfen sind in einem hochmodernen Wirtschaftssystem wichtige Schnittstellen: Sie dürfen nicht zu einem limitierenden Faktor für die Entwicklung des Luftverkehrssystem werden. Eine Luftverkehrsinfrastruktur, die mit dem Luftverkehrswachstum nicht Schritt hält, stellt eine Gefahr für den deutschen Luftverkehrsstandort, für das inländische Wertschöpfungspotential und die Schaffung von Arbeitsplätzen dar. Der Ausbau von Hubs ist daher unumgänglich ...". Es folgt eine Aussage für den Ausbau des Frankfurter Flughafens.
Aus Bodewigs Aussagen wird klar, dass bei so wichtigen Zielen nicht ein paar lärmbelastete Bürger im Wege stehen dürfen. Auf die Frage des "Lufthansa Dialogs", wie denn sichergestellt werden könne, dass die Städte nicht immer näher an die Flughäfen heranrücken (was nach Ansicht der Lufthansa nur durch ihre Investition in leisere Flugzeuge möglich wird) und so die Luftverkehrsgesellschaften um die Früchte ihrer Investitionen bringen, antwortete Bodewig: "Das BMVBW fordert, ... dass zum Schutz der Anwohner vor Fluglärm in Gebieten von Siedlungserweiterungen bzw. neuen Siedlungsflächen ein ausreichend großer Abstand zu Flugplätzen vorzusehen ist, durch den eine Beeinträchtigung der Bewohner vermieden wird".
Damit wird mehr als deutlich, dass Bodewig auch weiterhin den Fluglärm vor den Menschen schützen will und nicht umgekehrt. Und so wird es wahrscheinlich in dieser Legislaturperiode tatsächlich kein neues Fluglärmgesetz mehr geben. Aber vielleicht ist ja kein neues Gesetz besser als ein fauler Kompromiss, der die unerfreuliche Situation für die lärmgeplagten Bürger nur für weitere Jahre zementiert.
Quelle: TAZ vom 19.1.02
Themen hierzuAssciated topics:
Politik und Behörden Luftverkehr Fluglärmgesetz Fluglärm
Das könnte Sie auch interessierenFurther readings:
Gestern standen wir noch am Abgrund - morgen werden wir einen Schritt weiter sein!
Regierungspräsidium riskiert schweren Absturz des Planungsverfahrens zum Ausbau des Frankfurter Flughafens
<2006-01-19>
UBA: Leitfaden "Ansprechpartner für Luftqualität und Gesundheit"
Wichtige Umwelt- und Gesundheitsinstitutionen auf einen Blick (PM vom 10.11.2006)
<2006-11-10>
Grundsatzurteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes zum Planungsrecht
Viele Planungen müssen nach diesem Urteil überdacht werden
<2001-06-26>
Lufthansa droht: die Flugzeuge bleiben am Boden
Der Staat soll weiter die Versicherung gegen Terroranschläge übernehmen
<2002-02-19>
Hessens Initiative zum EU-weiten Nachtflugverbot gescheitert
Bundesrat hat Antrag abgelehnt
<2002-03-04>
Deutscher Bundestag billigt Staatsvertrag mit der Schweiz
Der Opposition gehen die Flugbeschränkungen nicht weit genug - aber nur in der Schweiz
<2002-05-24>
Grossflughafen und internationales Drehkreuz Berlin - oder doch nicht ?
Politikerstreit um Projekt Berlin-Schönefeld beginnt
<2001-09-10>
Luftverkehrsgesetz (LuftVG)
<2002-07-01>
"Initiative Luftverkehr" beklagt Nachteile in Milliardenhöhe für deutsche Luftfahrt
Neuer Interessenverband stellt sich in Bundestagsausschuss vor
<2004-02-11>
Flugverkehr: Bald jede Woche ein Unfall ?
Fluglotsen fordern eine drastische Verbesserung der Sicherheitsstandards
<2004-04-15>
UBA: Dem Flugverkehr fehlen Impulse für den Umweltschutz
Pressemitteilung vom 14.05.2004
<2004-05-14>
DLR Projekt "Leiser Flugverkehr"
Links auf im Internet verfügbare Dokumente Stand September 2010
<2010-09-05>
Neues Fluglärmgesetz - Gefahr für den Standort Deutschland?
Die Luftverkehrslobby attackiert Trittins Entwurf
<2004-06-27>
Billigflüge: Soziale Gerechtigkeit für Kleinverdiener?
CAA-Studie: Nicht die unteren, sondern die oberen Einkommensklassen profitieren am meisten
<2004-11-02>
Erörterungstermin - Bericht vom 22.09.2005
Der Gutachterstreit - ist die Luftverkehrsprognose der Fraport zu hoch?
<2005-09-22>
Erörterungstermin - Bericht vom 23.09.2005
Ministerium lehnt Anträge auf Abbruch des Verfahrens ab
<2005-09-23>
Erörterungstermin - Bericht vom 26.09.2005
Luftverkehrsprognose: viele Forderungen nach neuem Gutachten
<2005-09-26>
Bundespräsident Horst Köhler fertigt Gesetz zur Neuregelung der Flugsicherung nicht aus
Pressemitteilung vom 24.10.2006
<2006-10-24>
BUND: Neues Flughafenkonzept der Bundesregierung mangelhaft
Kapazitäten effizient nutzen statt Flughäfen ausbauen(PM 07.08.2008)
(PM vom 19.06.2008)
<2008-08-07>